Brecht und sein Wohngeschmack
Dessau/MZ. - Bertolt Brecht selbst war weder zu Besuch in den Meisterhäusern, noch hat er sich im Bauhaus umgesehen. Dass ihm der Bericht zu Ohren gekommen sein muss, beweise aber seine Kurzgeschichte "Nordseekrabben oder Die moderne Bauhaus-Wohnung", erklärt Marie Neumüllers, die am Sonntagnachmittag im Rahmen des Kurt-Weill-Festes zu einem kenntnisreichen Vortrag in das Meisterhaus Kandinsky-Klee eingeladen hatte. In der 1927 in den "Münchner Neuesten Nachrichten" erschienenen Geschichte würden sich wortgleiche Beschreibungen wie in dem Hausfrauen-Report finden, weiß die Bauhaus-Mitarbeiterin.
Neumüllers, die sich derzeit im Rahmen ihrer Dissertation mit Brechts prekärem Verhältnis zur modernen Architektur beschäftigt, ist sich sicher: "Er hat das Bauhaus nie für eine besonders gute Idee gehalten". Seiner Meinung nach profitierten von den avantgardistischen Ideen weniger die einfachen Leute, als das zahlungskräftige Bürgertum, das sich den Bauhaus-Stil auch leisten konnte. "Wenn man sich die Preislisten anschaut, kann man die Kritik nachvollziehen", räumt Neumüllers ein.
In der spartanisch eingerichteten Wohnung, die Brecht dem Leser in seiner mit Ironie und sprachlichen Spitzen übersäten Kurzgeschichte um den Kriegsheimkehrer Kampert vor Augen führt, verlieren sich die teuren Einzelstücke freilich. Während sich Kampert über die "simplen bürgerlichen Zimmer" auslässt ("Du kennst doch die Spezies: eng und wahrscheinlich dann noch bis oben mit Möbeln vollgestellt."), entgeht es ihm, dass sich sein Besuch sichtlich unwohl fühlt.
Die Freunde aus alten Kriegstagen halten die Diele für "eine ganze Ausstellungshalle" - in der allerdings kein einziges Bild hängt, wie an anderer Stelle bemerkt wird. Ungeachtet dessen präsentiert der Gastgeber stolz seine Räume und verkündet nebenbei Prinzipien des modernen Wohnens, berichtet die Wissenschaftlerin Neumüllers. "Seht mal hinab", zitiert sie Kampert, der mit seinen Gästen eine Wendeltreppe erklommen hat, "eine Wohnung muss ebenso gut wie eine Landschaft ausschauen." Für Brecht seien derartige Aussichten ein Graus gewesen, so die Wissenschaftlerin. Seiner Meinung nach sollte eine Wohnung so unaufdringlich wie möglich eingerichtet werden.
War Brecht also ein notorischer Architekturkritiker? Keineswegs, betont Neumüllers abschließend. Mit Hermann Henselmann hatte der Dramatiker einen bedeutenden DDR-Baumeister zum Freund gehabt. So lobte Bertolt Brecht die von Henselmann architektonisch geprägte Stalinallee im Berliner Osten für ihre für damalige Verhältnisse komfortablen Arbeiterwohnungen.