Bienenvolk war ausgebüxt
Köthen/MZ. - Trotz stundenlangen Ausharrens in luftiger Höhe hatte der Köthener Imker Harald Belger (39) am Mittwochabend den Humor noch immer nicht verloren. "Ich mache heute mal einen auf Vegetarier", ruft er unterm Blätterdach ins Handy. Denn außer dem Morgenkaffee hatte der Köthener gegen 17 Uhr noch nichts im Magen.
Belger war am Mittwoch bereits seit 9.30 Uhr im Korb eines Hubsteigers auf dem Köthener Markt anzutreffen. Gleich neben der Jakobskirche war er einem ausgebüxten Bienenschwarm auf der Spur. Das fordert Geduld, wie auch Gerd Meyer von der Köthen Energie bestätigen kann. Seine Firma stellte das Fahrzeug für die Rettungsaktion zur Verfügung. Meyer hatte um 14 Uhr seinen Kollegen abgelöst.
Das Einfangen eines Bienenschwarms ist für Belger, der seit 1985 die Imkerei betreibt - ebenso wie sein im vergangenen Jahr verstorbener Vater Fritz Belger -, kein Problem. Und natürlich weiß er auch genau, warum die rund 90 000 Bienen nebst ihrer Königin gestern auf der Eiche vor der Jakobskirche herumirrten. "Sie suchen eine neue Bleibe", sagt Belger. "Dabei gibt es doch in Köthen genug leere Wohnungen", fügt er scherzend hinzu.
Auf Wohnungssuche gehen die Bienen, wenn es ihnen in der Beute, wie der Fachmann zum Bienenstock sagt, zu eng wird. Das ist kein Wunder bei der Tüchtigkeit der Bienenkönigin, die pro Tag auf einen Ruck zwischen 1000 bis 1500 Eier legt, woraus der Bienennachwuchs alle 21 Tage schlüpft. Wird es also zu eng in der alten Beute, hört die Königin auf zu stiften, das heißt, sie legt keine Eier mehr.
Das merken ihre Untertanen sofort und kümmern sich um die Aufzucht einer neuen Königin, indem sie eine Weiselzelle setzen. Schlüpft dann die erste neue Königin, hat die alte ausgespielt und wird aus dem Stock getrieben. Dabei wird zugleich auch das Bienenvolk fifty-fifty untereinander aufgeteilt. Und solch ein obdachloses Volk mit alter Königin hatte sich gestern auf der Eiche am Markt niedergelassen.
Was die umstehenden Händler und deren Kunden gar nicht so nett fanden, weswegen sie auch gleich das städtische Ordnungsamt informierten. Herbert Dölle, für solche Vorkommnisse zuständig, hatte dann auch umgehend dafür gesorgt, dass die Bienen fachmännisch eingefangen werden. "Das kommt alle Jahre um diese Zeit vor", sagte er zur MZ. "Normalerweise ist im Mai die Zeit des Schwärmens", bestätigt Harald Belger. Der harrte nun gestern mit einem Kasten voller Waben, aus denen der Honig erst geschleudert wurde, auf dem Hubsteiger aus, um die Bienen anzulocken. Doch erst, wenn die Königin mit im Kasten sitzt, ist das von Erfolg gekrönt.
So dauerte das ganze Prozedere gestern auch bei Redaktionsschluss noch an. Und dann war für den Hobby-Imker noch immer nicht Feierabend. Denn auch zum Köthener Kreiskrankenhaus hatte sich fast gleichzeitig ein Bienenschwarm verirrt.
Harald Belger hat übrigens selbst acht Bienenvölker, die er bei Piethen auf die Weide schickt. Pro Volk erntet er im Jahr etwa 70 Kilogramm Honig, wie er verriet. Und er schwört auf Mischhonig.