Auf Messers Schneide: Gefängnis oder Bewährung?
Dessau/MZ/age. - Viele Fakten sprechen auf den ersten Blick für sich und gegen Michael. Der blonde, schlaksige Jugendliche hat offenbar einen Hang, anderen wegzunehmen, was ihm oder einem seiner Freunde gefällt. Wegen Raubes und Körperverletzung und unter Einbeziehung eines weiteren Urteils war er deshalb im Juni vom Amtsgericht zu zwei Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Mit der Rechtskraft dieses Urteils läge die Zukunft des jungen Dessauers hinter den Mauern einer Justizvollzugsanstalt. Dorthin wird der 18-Jährige auch gehen müssen, wenn die Berufung vor dem Landgericht keinen Erfolg haben sollte.
Doch um Michael Marx wird gerungen, obwohl er im Oktober letzten Jahres gemeinsam mit einem Freund einem jungen Dessauer nahe dem Gewerbegebiet Mitte das Fahrrad wegnahm und wenige Tage später einem anderen Gleichaltrigen ins Gesicht schlug, weil er in ihm einen Fahrraddieb vermutete.
"Eine Ausnahmsweise-Verurteilung gibt es nicht", machte Kammervorsitzender Thomas Knief gestern dem Blondschopf klar. Doch Michaels Persönlichkeit möchte Verteidiger Manfred Schläfert nicht mit dem durchschnittlicher Jugendlicher gleichgesetzt wissen. "Er hat sich immer positiv bemüht, doch es hat nicht immer geklappt", erklärte Michaels Verteidiger seine Sicht auf Entwicklungsdefizite des 18-Jährigen und bezieht sich auf Michaels Kindheit und Jugend. Mit vier Halbgeschwistern lebte der Angeklagte bei den Eltern, die in einem Ort im Saarland einen Baubetrieb unterhielten und die Kinder offenbar dort schuften ließen. Der damals noch nicht strafmündige Junge soll für den Lebensunterhalt der Familie manches Mal in die Lebensmittelregale von Supermärkten gegriffen haben. Diesem Leben bei der alkoholabhängigen Mutter und dem spielsüchtigen Stiefvater hatte Michael vor mehr als einem Jahr aus eigener Kraft den Rücken gekehrt, untersteht seitdem dem Jugendamt und lebt heute im Betreuten Wohnen einer Stiftung.
Bevor das Gericht ein Urteil fällt, soll in der nächsten Woche u. a. jenes Kind aussagen, das seit dem letzten Oktober kein Fahrrad mehr hat. "Geht's dir gut?" hatte Michael den Jungen damals erfolgreich angehalten. "Aber gleich nicht mehr", schob er nach. Das Kind flüchtete und soll später sein Rad aus Angst hingeworfen haben und weggerannt sein.