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Anhaltisches Theater Anhaltisches Theater: Karl Thiele erlebt den sanftem Entzug

Von thomas altmann 20.10.2014, 20:08
Am Freitag wurde Karl Thiele offiziell aus dem Ensemble des Anhaltischen Theaters verabschiedet. Auf der Bühne aber steht er weiter.
Am Freitag wurde Karl Thiele offiziell aus dem Ensemble des Anhaltischen Theaters verabschiedet. Auf der Bühne aber steht er weiter. david ortmann Lizenz

dessau/MZ - Die falsche Kunst, das glatte Wort: „O schwere Last“. Der ganze König Claudius wäre ihm gegönnt gewesen. Nun blieb es beim Fragment, beim Einstieg für des Gehörnten Monolog, beim fliehenden Rollenspiel in der Rolle des Rowicz. Nach der Premiere von Nick Whitbys Komödie „Sein oder Nichtsein“ im Anhaltischen Theater Dessau wurde Karl Thiele am Freitag offiziell verabschiedet, noch längst nicht von der Bühne, aber als festes Ensemblemitglied. Zudem wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft des Anhaltischen Theaters verliehen, des Theaters, auf dessen Bühne er gut 42 Jahre spielte. „Was er für das Dessauer Theater getan hat, kann man gar nicht hoch genug einschätzen“, sagte Generalintendant André Bücker: „Herzlichen Dank und meine tiefe Verneigung.“

"Eigentlich wie immer"

Gerade noch beflügelte Garderobiere im Stück, bedankt sich Christel Ortmann für einen, für diesen gemeinsamen Weg: „Mein Gott, der sieht noch richtig jung aus“, sagt sie. Dann ändert sich der Ton. Erinnerungen.

Gerade noch genial grotesk schweinebaumelnder Gruppenführer, der den eichenen Altar des Größenwahns beturnte, nimmt Sebastian Müller-Stahl als Sprecher des Ensembles das Mikrofon in die Hand. Menschen zu denen man aufsehen, denen man das Jahrhundert ansehen, von denen man lernen könne, habe er sich gewünscht: „Danke Karl!“ Müller-Stahl beleuchtet dann die Figur des Rowicz, die Aufgabe des Theaters, Konflikte zu formulieren und Konventionen aufzubrechen.

Karl Thiele, Jahrgang 1948, kam von der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Babelsberg nach Dessau und blieb. Die Bilanz: Rund 160 Theaterrollen, etwa 40 Inszenierungen, zudem Mitwirkung in Film- und Fernsehproduktionen.

Die erste große Filmrolle spielte Thiele 1970 in die „Rottenknechte“, Regie Frank Beyer. In Beyers „Der Hauptmann von Köpenick“ mit Harald Juhnke, Katharina Thalbach und Rolf Hoppe spielte Thiele Bulcke.

Zweimal war er Leiter des Schauspielensembles. Mit „Die letzte Seite im Tagebuch“ begann 1973 seine Regiearbeit im Majakowski-Haus.

Und immer wieder folgten Märchen, oder Stücke auf der Bauhausbühne, wie „Draußen vor der Tür“ mit Christine Lindemer als weinender Gott. In Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“ führte er Regie, besorgte die Ausstattung und spielt noch immer...

Wie es ihm ginge, am Tag danach? „Eigentlich wie immer. Ein wenig erleichtert und ergriffen“, sagt Karl Thiele, spricht von einem „sanften Entzug“ und fügt im Ton eines lächelnden Nachrufs an: „Ich bin gleitend hinüber gegangen“. Ein unvollendeter Prozess. Denn noch immer wird er sein großes Solo, Heinrich Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“ spielen und in Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ auf der Bühne stehen, wie auch in diesem vermeintlich letzten Stück, das wie lächerliches Boulevard-Theater beginnt und doch surreale Bilder, absurde Rhythmen findet, das unter den Schwank Wirklichkeit in Film und Wort hebt, eine Wirklichkeit, die das Lachen aus dem Hals bombt. - Wer ist Rowicz?

Ein Schauspieler, der einen Schauspieler spiele, eine Rolle, die ihm, Thiele, erlaube, in verschiedene Rollen zu springen, wie etwa fragmentarisch in die des König Claudius. Müßig, zu erwähnen, dass Thiele den Claudius in Gänze längst auf dieser Bühne gespielt hat. Rowicz, dieser polnische Schauspieler, hat deutsche Vorfahren, deshalb wähne er sich privilegiert, mogle sich an der Oberfläche entlang, bis das Lügengebäude schwanke, bis die Sprache versage, als der Kollege, der Jude Grünberg verhaftet wird. Thiele: „Solche Brüche machen den Menschen aus.“

„Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.“

Was aber macht das mit uns, dieses Lachen über dieses Thema? „Das weiß ich auch nicht“, sagt Thiele. Er selbst hätte das Stück schon in den Händen gehalten, sei aber mit sich nicht im Reinen gewesen. Und schon spricht er über „Das Tagebuch der Anne Frank“, über „Draußen vor der Tür“, über seine Inszenierungen, über den anderen Weg, sich diesem Thema zu nähern. Aber nun handle es sich natürlich um eine Konstruktion. „Schön, dass dieses Konstrukt immer mitschwingt“, sagt er, spricht von grotesken Höhen und davon, dass der Ausbruch aus dem Boulevard gewollt sei. „Selbst die Trümmer wirken dekorativ im Schnee“.

Die Dankesworte auf der Bühne nach der Premiere beendete Thiele mit Schiller: „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.“ Am Tag danach holt er, als gelte es zu argumentieren, im Prolog zu „Wallenstein“ weiter aus: „Ja danket ihr’s (der Muse), dass sie das düstre Bild der Wahrheit in das heitre Reich der Kunst hinüberspielt, die Täuschung, die sie schafft, aufrichtig selbst zerstört…“ (mz)