Alternatives Jugendzentrum in Dessau Alternatives Jugendzentrum in Dessau: Erinnerungsarchiv wächst

dessau-rosslau/MZ - Für eine Woche ist Gabriel Bach seit Freitag zu Gast in Dessau. Der stellvertretende Ankläger des Eichmannprozesses – geboren in Halberstadt, geflohen nach Amsterdam und später nach Palästina – wird die Stadt und die Umgebung erkunden und im Theater sprechen. Der Besuch des jüdischen Juristen, der als junger Staatsanwalt an der Verurteilung des SS-Manns Adolf Eichmann in Jerusalem beteiligt war, ist einer der Höhepunkte der diesjährigen Arbeit des Alternativen Jugendzentrums Dessau, das sich der Entwicklung und Pflege einer lebendigen Erinnerungskultur bezüglich der Verbrechen der NS-Zeit verschrieben hat.
Eine Vielzahl von Veranstaltungen und Besuchen dieser Art, von Bildungsreisen mit jungen Leuten zu diversen Gedenkstätten in Deutschland und Europa und zahlreiche Workshops gehen auf die Rechnung dieser ganz wesentlichen Sparte des Vereins. In 15 Jahren haben die hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter außerdem eine überregional bedeutende Sammlung von Zeitzeugenaussagen, Dokumenten und Zeugnissen und aus eigenen Filmproduktionen zusammengetragen, die es so vergleichbar deutschlandweit nicht noch einmal gibt.
Im Mittelpunkt der Arbeit steht seit 1998 Jana Müller. Die Sozialpädagogin hat sich schon während ihres Studiums mit Vermittlungsformen historischer Zusammenhänge der Zeit des Dritten Reiches beschäftigt, hat in der Gedenkstätte Bernburg gearbeitet und sich in Dessau erst ehrenamtlich, später und bis heute hauptberuflich engagiert. „Nach den ersten Gesprächen mit Zeitzeugen, nach der ersten Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz und der ersten Schulprojektwoche hat das Ganze eine Dynamik entwickelt, an deren Ende eine Professionalisierung unserer Arbeit stand“, erinnert sich Jana Müller an einen längeren Prozess. Die Räume im Haus in der Schlachthofstraße sind voll gestellt mit Videotechnik, Ordnern, Büchern, Filmen und verschiedenen Datenträgern. „Meine Arbeit besteht aus dem Entwickeln neuer Konzepte, dem Herstellen neuer Kontakte und der Pflege bestehender, dem Archivieren und Sammeln und natürlich der Akquise finanzieller Mittel, um Projekte durchführen zu können“, erklärt sie ihre Aufgabenbereiche.
Nach dem Besuch des Jüdischen Friedhofs kommt Gabriel Bach am Sonntag um 16.30 Uhr zu einem öffentlichen Gespräch ins Alte Theater in Dessau. Der Eintritt zu der Veranstaltung ist frei.
Viele während der Nazidiktatur politisch Verfolgte, Juden, Sinti und Roma hat Jana Müller in 15 Jahren kennengelernt, hat sie nach Dessau geholt, in die Stadt, in der das Gift für die Massenvernichtung produziert wurde, mit der viele schmerzhafte Erinnerungen an eine dunkle Zeit verbinden, über die es jedoch auch gute Geschichten menschlicher Verbundenheit zu berichten gibt. Die Arbeit des AJZ will aber auch den Brückenschlag zwischen den Generationen: „Natürlich sind die Berichte der Zeitzeugen keine leichte Kost, letztlich ist es aber gut zu sehen, wie junge Menschen aus der Großenkelgeneration nicht nur Zugang zur Erinnerung, sondern auch zu großer menschlicher Weisheit haben, die Erfahrungen der Überlebenden enden ja nicht 1945.“
Ein neues Geschichtsbewusstsein entwickelten viele der jungen Teilnehmer während ihrer Arbeit an den verschiedenen Projekten, „auffällig viele unserer Jugendlichen engagieren sich später auch pädagogisch, einige sind sogar Lehrer geworden, vermitteln heute selbst Geschichte“, freut sich Jana Müller darüber, dass die Arbeit des Vereins, die sich mit der Vergangenheit beschäftigt, in der Gegenwart und wohl auch für die Zukunft solche Spuren hinterlässt. Indes geht das Sammeln, Dokumentieren und Aufarbeiten weiter. Das AJZ begleitet die letzte Zeitzeugengenerationen.
Jana Müller hofft, ihre Arbeit weiter finanzieren zu können, hofft, dass die Stadt das Engagement schätzt und unterstützt, und, spricht es nicht aus, träumt aber ganz sicher von einem Ort, an dem das entstandene Zeitzeugenarchiv irgendwann in einem adäquaten Rahmen präsentiert werden kann.