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Zigeuner sind in der Stadt

Von Corinna Nitz 18.03.2005, 16:33

Wittenberg/MZ. - Hurra, Zigeuner sind in der Stadt! Das ist das Gefühl, das die Besucher am Donnerstagabend ergreift, die der Einladung der Deutsch-Russländischen Gesellschaft in die "Phönix-Theaterwelt" Wittenberg gefolgt sind, um eine sehr schöne Vertreterin der Sinti und Roma zu sehen: Natascha Osterkorn. Sie sagt, sie sei - "wie alle richtigen Zigeuner" - am Lagerfeuer geboren worden. Na ja. Vielleicht stimmt's. Vielleicht auch nicht. Doch egal wie: Wenn sie singt, sich in den Hüften wiegt oder im Stakkato mit den Füßen stampft und das Tamburin schüttelt, dann sieht und hört sich das alles sehr authentisch an. Ihre Lieder handeln - "wie alle Lieder der Zigeuner" (Osterkorn) - von Liebe und schönen Mädchen. Und von "Prachtkerlen", die zu viel Wodka trinken und zu viel Karten spielen und selbst dann noch Spaß am Leben haben, wenn das Geld futsch, die Frau fort und das Haus weg ist. "Solche Männer", sagt Frau Osterkorn, "gibt es nur in Russland." Sie stammt aus Russland.

Sie singt auch von dem Gefühl, unterwegs zu sein. "Zigeuner sind immer auf der Straße. Ihr zu Hause ist der Horizont." Die Melodien bei solchen Texten werden wehmütiger, und Osterkorns klare warme Stimme klagt dann. Sie selbst lebt schon seit Jahren in Deutschland. Und nicht immer interpretiert sie auf der Bühne die Lieder ihres Volkes. Mitunter kann man sie auch in Konzertsälen erleben. Am Flügel. Dann widmet sie sich der klassischen Musik und ist wahrscheinlich ein wenig mehr bekleidet als an diesem Abend im "Phönix". Zwischen Bluse und Glockenrock leuchtet ein breiter Streifen nackter Haut mit goldenem Geschmeide am Hals um die Wette.

Begleitet wird Natascha Osterkorn von Oleg Matrosov (Gitarre und Balalaika) sowie Vadim Kulitzkii. Früher spielte Kulitzkii bei der legendären Gruppe "Loyko" die Gitarre. Auch da hatte man sich der Pflege der Zigeuner-Klangwelten verschrieben. So gesehen ist er sich treu geblieben. Und treu scheint auch das Publikum. Mancher erlebt Natascha Osterkorn nicht zum ersten Mal, aber gern wieder neu. Alles andere als neu sind dagegen die Vorurteile, mit denen die Sängerin zwischen ihren Liedern immer wieder spielt. "Zigeuner arbeiten nachts", sagt sie und kokettiert: "Die Mercedes-Fahrer in Wittenberg sollten also aufpassen." Das Publikum lacht, und es prustet regelrecht los, als am Ende Heinz Wehmeier von der Deutsch-Russländischen Gesellschaft erklärt: "Die Mercedes-Fahrer hier müssen sich keine Sorgen machen. Die Künstler übernachten in Bülzig." Und dort gebe es nur einen großen Reiterhof. Man werde am nächsten Morgen die Pferde zählen.