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Zeitgeschichte Zeitgeschichte: Klaus Staeck prägte der Volksaufstand

Von stefan schröter 16.06.2013, 17:08
Klaus Staeck reihte sich am 17. Juni 1953 in den Zug der Demonstranten ein.
Klaus Staeck reihte sich am 17. Juni 1953 in den Zug der Demonstranten ein. Zöllner Lizenz

bitterfeld/MZ - Auf der Binnengärtenwiese strömen die Demonstranten zusammen. Viele Arbeiter haben in den Bitterfelder und Wolfener Werken ihre Schicht nicht angetreten, sondern formieren Protestzüge, die rasch anwachsen.

Klaus Staeck sitzt an diesem 17. Juni 1953 im Unterricht in der Diesterwegschule, wo der Lärm der Demonstranten unüberhörbar in die Räume dringt. Bei der Geräuschkulisse steigt auch die Aufregung unter den Schülern: „Es war eine solche Stimmung, dass man dabei sein wollte“, erinnert sich Staeck, der heute Präsident der Akademie der Künste in Berlin ist.

Doch sein damaliger Lehrer wollte die Jugendlichen nicht gehen lassen, wie Staeck erzählt. Schließlich floh der damals 15-Jährige zusammen mit anderen Klassenkameraden durch die Fenster. Der Raum befand sich im Erdgeschoss. Und dann erblickte Staeck die Menschenmenge: „Es war beeindruckend, die Arbeiter freiwillig marschieren zu sehen, und das eben nicht nur am 1. Mai.“

Andere Zeitzeugenberichte lesen sich ähnlich bewegend. Der Vorsitzende der Bäckereigenossenschaft in Bitterfeld, Franz Lohfink, erzählt in einem Bericht, wie er in seinem Familienbetrieb die ganze Nacht durch gebacken hat, um am Morgen frei zu sein für die Ereignisse, die sich am Vorabend bereits ankündigten: „Das Radio lief in unserer Backstube die ganze Nacht über und wir spannten, ob nicht neue Nachrichten kamen. Weil ich die Spannung nicht aushalten konnte, fing ich gegen 7 Uhr an, den Hühnerstall zu weißen.“

Gegen halb zehn kam sein jüngster Lehrling zu ihm in den Stall gerannt und sagte, was auf der Straße los ist. „Ich ließ alles stehen und liegen und pirschte zur Straße. Da sah ich die jubelnde und schreiende Menschenwand über die Bahnhofsbrücke vorwärts streben.“ Franz Lohfink reihte sich ein.

Auch der Schüler Klaus Staeck schloss sich dem Demonstrationszug an. Es waren bewegende Stunden, die er nie vergessen wird. „Ein einschneidender Tag. Er hat mich geprägt.“ Staeck, der nach dem Abitur in die BRD gegangen ist, erinnert sich noch heute an einen Lastwagen mit Polizisten, der von den Demonstranten hochgeschaukelt und anschließend umgekippt wurde. Bei der SED-Kreisleitung in Bitterfeld sah er ein Lenin-Porträt fliegen. Bilder, die sich in seinem Kopf festgesetzt haben. Und Staeck war mittendrin: „Ich glaube, ich war auch im Gebäude.“

Die Demonstranten drangen auch in Gebäude der Staatssicherheit und der Polizei ein. Mehrere politische Gefangene wurden auf Druck der Streikenden freigelassen. Zu den Anführern der Streikbewegung in Bitterfeld gehörten Paul Othma, Wilhelm Fiebelkorn und Horst Sowada. „Als ich auf den Traktor stieg, wusste ich: ,Ich spiele mit vollem Einsatz. Siegen wir, dann ist alles in Ordnung. Bleiben der Russe und das Ulbricht-Regime an der Macht, dann ist Heimat, Arbeit, Freiheit und unter Umständen das Leben in Gefahr. Dann gibt es nur noch eines: Flucht nach West-Berlin’“, schildert Fiebelkorn, der damals Lehrer an der Comeniusschule war, den Volksaufstand. In den Nachmittagsstunden des 17. Juni wurde der Aufstand mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht niedergeschlagen. Zehn Tage später gelang es Fiebelkorn, nach Berlin zu flüchten.

Klaus Staeck wollte die DDR nicht verlassen. Aber als er sich für ein Studium in Weimar bewarb, bekam er vor Ort mit, wie die Verantwortlichen der Uni aus einer Akte lasen, die ein FDJ-Sekretär der Diesterwegschule über ihn erstellt hatte, und die den 17. Juni aufgriff. „Da wusste ich, dass es in der DDR mit mir nichts mehr wird.“

Im Fernsehen: Montag, 23.45 Uhr, ARD: „Griff nach der Freiheit - Der Aufstand vom 17. Juni 1953“