Wirklich keine leichte Entscheidung
BITTERFELD/MZ. - Man hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Über drei Stunden tagte das Jugendschöffengericht unter Vorsitz von Richterin Jutta Keil, um nach der Beweisaufnahme zu einem Urteil zu kommen. Dann wurde es verkündet: Der 21-Jährige, der sich seit 1. Juni vor dem Bitterfeld-Wolfener Amtsgericht wegen Misshandlung gegenüber Schutzbefohlenen und schwerer Körperverletzung verantworten musste, wurde zu einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsentzug auf Bewährung verurteilt.
Dass dieser Prozess, der sich über drei Verhandlungstage hinzog, kein leichter war, zeigt die Kluft zwischen Urteil und Strafanträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Sechs Jahre Haft hatte Staatsanwältin Sabine Monnet gefordert, während Rechtsanwältin Sylvia Rösicke in ihrem Plädoyer von der Ableistung von Sozialstunden für ihren Mandanten sprach. "In dubio pro reo" - im Zweifel für den Angeklagten: Nach diesem Grundsatz ist das Gericht aufgrund vieler Widersprüche und fehlender Beweise letztlich zum verhängten Urteil gekommen.
Keiner der Prozessbeteiligten außer dem Angeklagten selbst war dabei in jener Nacht zum 29. Dezember 2008, als der kleine Sohn des damals 19-Jährigen so schwer verletzt wurde. Mit einem Schädelbruch, Hämatomen und Kratzern war er damals in die Klinik gekommen, es bestand Lebensgefahr. Aus heutiger Sicht sind aber keine bleibenden Schäden zu erwarten.
Die Rippenbrüche, von denen bis zum letzten Verhandlungstag die Rede war, wurden dann durch einen Radiologen widerlegt. Eine Röntgenaufnahme etwa vier Wochen nach dem Vorfall, so sagte er als sachverständiger Zeuge, habe gezeigt, dass es keinen Bruch gegeben hat. Bei Einlieferung des Kindes in die Klinik habe es zwar Anzeichen dafür gegeben, doch sei das nicht bestätigt worden. Er begründete das medizinisch fundiert.
Warum diese Information nicht eher in die Akte gelang, blieb unklar. Für die Schwere der Verletzungen des damals erst zwei Wochen alten Säuglings indes spielte das ohnehin keine tragende Rolle. Viel mehr war die Frage ausschlaggebend, ob die Schädelfraktur durch Misshandlung, wie der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete, oder durch einen Unfall zustande kam. Der Angeklagte hatte zwar eingeräumt, das Kind am Kopf aus seinem Bettchen gezerrt zu haben - eine bewusste Misshandlung aber vehement bestritten. Als ihm die Tragweite seiner Handlung bewusst geworden sei, habe er den Kleinen trösten wollen. Dabei sei er auf dem eigenen Bett herum gelaufen, mit dem Jungen im Arm gestürzt und jener daraufhin gegen ein Möbelstück geprallt. Alles tue ihm sehr leid, versicherte er.
In den vorliegenden Gutachten und nach wissenschaftlichen Studien war im Verlaufe des Prozesses dargestellt worden, unter welchen Bedingungen auf diese Art und Weise ein Schädelbruch hervorgerufen werden kann. Da die Bruchlinie linear verlief und auch nur ein Knochen betroffen war, konnte der sachverständige Rechtsmediziner einen Unfall nicht ausschließen. Der Professor aus Leipzig hatte das Gutachten erstellt.
Im Gegensatz dazu standen die Zeugenaussagen des Rechtsmediziners aus Halle, der das verletzte Kind noch am Tag des Vorfalls nach der Einlieferung in die Uniklinik untersucht hatte. Für ihn war das Gesamtbild der Verletzungen nicht mit einem Sturz vereinbar. Auch die Ärztin aus der Bitterfelder Klinik, die den Jungen als erste versorgt hatte, hatte damals eine Misshandlung vermutet.
Hinzu kommt zu diesen ganzen Gegensätzlichkeiten, dass der Angeklagte im Verlaufe der Ermittlungen mehrere Versionen des Geschehens in jener Nacht offeriert hatte. Bei der Erklärung des Unfalls blieb er dann bis zum Schluss. Und dass er sich damals in einer sehr schwierigen Situation befand und mit Partnerschaft, beruflichen Problemen und als Vater total überfordert war, erzählte er nicht nur selbst: Das wurde ihm auch von dem Professor, der als psychologischer Gutachter auftrat, bestätigt.
Für die Staatsanwältin erschien die Unfall-Version nicht glaubhaft, weshalb sie für ihren Antrag von sechs Jahren Haft Kindesmisshandlung in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung als Tatvorwurf zugrunde legte. Die Verteidigerin beschönigte die Handlungsweise ihres Mandanten zwar nicht, wies aber darauf hin, dass man durch die Gutachten nicht zu der Überzeugung gelangen könne, dass eine Misshandlung erfolgt sei.
Im Übrigen verwies sie noch einmal auf seine positive Sozialprognose: Nach eigenen Angaben kümmert sich der junge Mann täglich um seine mittlerweile zwei Kinder, absolviert eine Lehre und ist dabei, mit seiner Freundin wieder eine Beziehung aufzubauen. Zudem hatte er sich wenige Wochen nach dem Geschehen in psychologische Behandlung begeben.
Das Gericht, das "im Zweifel für den Angeklagten" entschied, staffelte die Verurteilung nach mehreren Handlungssträngen. Das Herauszerren des Kindes aus dem Bett wurde als Kindesmisshandlung eingestuft, der Sturz als grob fahrlässige Körperverletzung. In das Gesamturteil flossen auch zwei Fälle vorsätzlicher Körperverletzung ein, die der Angeklagte seiner Lebensgefährtin zugefügt hatte und die ebenfalls verhandelt wurden.
Die Urteilsfindung erfolgte entgegen der Empfehlung der Jugendgerichtshilfe, die sich für die Anwendung von Jugendrecht ausgesprochen hatte, nach allgemeinem Strafrecht. Die Bewährungszeit beträgt zwei Jahre. Zudem hat der Angeklagte, der nicht vorbestraft ist, 200 Stunden gemeinnützige Arbeit abzuleisten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.