1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Bitterfeld-Wolfen
  6. >
  7. «Straßenkreuze»: «Straßenkreuze»: Schocktherapie in Zeitlupe

«Straßenkreuze» «Straßenkreuze»: Schocktherapie in Zeitlupe

Von Birger Zentner 21.01.2002, 18:55

Wolfen/MZ. - "Betroffen macht mich, dass wir Straßenkreuze schon nicht mehr wahrnehmen, der Tod im Straßengraben zum Alltag gehört." Eine Schülerin des Heinrich-Heine-Gymnasiums schrieb diesen Satz am Montag in das Gästebuch der Ausstellung "Straßenkreuze - Unorte des Sterbens". Die Exposition war kurz zuvor in der Bildungseinrichtung in Wolfen-Nord eröffnet worden und ruft die Straßenkreuze nachdrücklich ins Gedächtnis. Mit Bildern und mit Zahlen.

Die Namen und Daten auf den Fotos der Straßenkreuze geben Auskunft: Es waren junge Menschen, deren Fahrt aus der Disko an einem Baum endete. Es waren junge Menschen, die dabei starben. Es waren junge Menschen, die dabei verletzt wurden.

Nicht weniger unter die Haut gehen die Begleittexte zur Ausstellung. Zum Beispiel die Gedanken des Polizisten Torsten Schmidt, der gleich am Beginn seiner Schicht zu einem Unfall gerufen wird, das Chaos, die Verletzte und die Tote sieht, die Schreie hört, absperrt, den Unfall aufnimmt, später das Protokoll schreibt und irgendwann Dienstschluss hat. Die Gedanken schließen: "Ich fahre nach Hause. Meine Frau und meine beiden Kinder erwarten mich, meine Tochter erzählt, was sie im Kindergarten erlebt hat. Ich antworte nur: Ja ... ach so ... schön. ... Ich sehe immer wieder die tote Frau vor mir. Sie war nicht die Unfallverursacherin."

Heilsam schockierend auch die "Zeitlupe". Sie schildert die letzte Sekunde vor dem Aufprall an einem Baum, beschreibt in beklemmenden Worten, was mit dem Auto und seinem Fahrer in der letzten Sekunde passiert.

Bis Freitag wird die Wanderausstellung des Innenministeriums und des Kultusministeriums im Heinrich-Heine-Gymnasium zu sehen sein. Offen ist sie nicht nur für die Schüler. "Vor allem vormittags kann jeder kommen", sagt Martina Klugmann, Verkehrssicherheitsberaterin vom Wolfener Polizeirevier. Anschließend wird die Schau noch im Bitterfelder und im Sandersdorfer Gymnasium zu sehen sein.