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Saubermacher aus Wolfen Saubermacher aus Wolfen: Erste Kunst-Schwämme der Welt kamen aus Filmfabrik

Von Ehrhard Finger 29.06.2019, 12:00
Früher gab es nur Naturschwämme wie diese.
Früher gab es nur Naturschwämme wie diese. imago/imagebroker

Wolfen - Wenn heute der Viskoseschwamm ein selbstverständliches Utensil zum Reinigen des Küchentisches ist, dann ist daran zu erinnern, dass die Filmfabrik Wolfen 1929 die erste industrielle Fertigung weltweit startete.

Seit Jahrhunderten wurden Naturschwämme als Reinigungsmittel und Badeschwamm verwendet. Doch der Naturschwamm, der beispielsweise in Griechenland geerntet wurde und als Exportschlager ein wichtiger Wirtschaftsfaktor war, konnte den Bedarf der wachsenden Weltbevölkerung im 19. Jahrhundert nicht mehr decken.

Zudem ging die Naturschwammgewinnung durch Raubbau und Umweltbelastungen der Meere zurück, verbunden war das mit einem Preisanstieg. Das Deutsche Reich importierte im Jahr 1880 Naturschwämme im Wert von 707 Millionen Mark, ein für damalige Verhältnisse hoher finanzieller Importaufwand.

Im Herbst 1928 erhielt die Filmfabrik Wolfen ein Angebot zur Lizenznahme

So reifte die Forderung nach der Herstellung eines Kunstschwammes. Chemiker hatten um 1900 vergeblich versucht, das Viskoseverfahren zur Herstellung künstlicher Schwämme zu nutzen. Doch die Gebrauchswerteigenschaften, insbesondere die Festigkeit und die Saugfähigkeit, waren unbefriedigend.

Im Herbst 1928 erhielt die Filmfabrik Wolfen von der Firma Mostny aus Österreich ein Angebot zur Lizenznahme für eine Schwammfabrikation auf Zellulosebasis. Hans Mostny hatte in der väterlichen Branntweinbrennerei quasi in Hobbyforschung ein entsprechendes Verfahren entwickelt und 1925/26 das Österreichische Patent 103.332 erhalten. Auf Einladung der Filmfabrik besuchte der Patentinhaber Anfang 1929 Wolfen und demonstrierte das Verfahren vor Ort. In Kenntnis bereits gescheiterter Lizenzverhandlungen der Patentinhaber in Holland waren die Verantwortlichen der Filmfabrik anfangs skeptisch bezüglich des Aufbaus einer industriellen Produktion.

1931 konnten in Wolfen bereits 108.643 Schwämme hergestellt werden

Die Filmfabrik fertigte seit 1922 eine Viskosekunstseide und hatte damit Erfahrung mit dem Viskoseverfahren. Die Versuche zur Fertigung eines Schwammes nach dem Mostny-Verfahren verliefen dann positiv. Es kam zum Abschluss eines Lizenzvertrages und zur Errichtung einer Versuchsanlage, auf der bis Juli 1929 bereits 800 Schwämme gefertigt werden konnten. Die Versuchsanlage wurde in den folgenden Jahren zur Produktionsanlage ausgebaut.

1931 konnten bereits 108.643 Schwämme hergestellt werden, womit die Filmfabrik zum ersten Unternehmen wurde, das Kunstschwämme in industriellem Maßstab fertigte. Der Aufbau der Viskose-Schwammproduktion in nur drei Jahren wurde dadurch begünstigt, dass die für die Viskoseseide-Produktion gefertigte Spinnlösung auch für die Schwammproduktion geeignet war und keine separate Anlage errichtet werden musste.

Die Deutsche Reichsbahn wurde zum festen Kunden der Filmfabrik Wolfen

Der zunehmende Absatz, die Deutsche Reichsbahn wurde zum festen Kunden, führte zum weiteren Ausbau der Produktionskapazitäten. 1944 verließen knapp vier Millionen Schwämme die Produktionsanlagen.

Qualitätsverbesserungen führten in der Folge zu einer breiteren Anwendung, insbesondere auch zur Verwendung der Schwämme im Haushalt. Eine Modifizierung des Verfahrens führte 1969 zur Fertigung eines Schwammtuches. Im gleichen Jahr übernahm das Kunstseidenwerk „Clara Zetkin“ in Elsterberg das Verfahren und die Produktion des Schwammtuches. 1972 folgte die Verlagerung der Schwammproduktion nach Elsterberg, womit nach 43 Jahren die Viskoseschwamm-Herstellung in der Filmfabrik Wolfen endete. Und auch in Elsterberg überlebten die Schwämme nicht die politische und wirtschaftliche Wende. (mz)