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Rückblick auf das «Jahrtausendhochwasser» Rückblick auf das «Jahrtausendhochwasser»: Höchste Pegel seit Menschengedenken

Von Karl Jüngel 07.11.2002, 15:58

Wittenberg/MZ. - Ruhig fließt unser Heimatstrom wenige Wochen nach der Flut-Katastrophe bei erhöhtem Mittelwasser in Richtung Nordsee ab. An einigen Stromstellen der Elbe könnte man den Eindruck gewinnen, alles sei nur ein Traum gewesen. Geblieben sind dennoch Leid bei den Betroffenen, unvergessliche Erinnerungen bei den vielen Helfern aus nah und fern, aber auch Zerstörungen an den Ufern und technischen Einrichtungen.

Der Begriff "Jahrhunderthochwasser" ist eine klare Verniedlichung des Ereignisses. Zumindest für den Bereich der Moldau und der Elbe bis Tangermünde geht man nicht fehl, wenn man den Begriff "Jahrtausendhochwasser" nutzen würde. Nach Aufzeichnungen der "Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe" wurden an fast allen Pegeln (Wasserstandsmesser) zwischen Prag und der Landsgrenze Sachsen-Anhalt zu Mecklenburg-Vorpommern Höchstmarken registriert, wie sie bislang in der Menschheitsgeschichte nicht nachweisbar sind (siehe Grafik).

Ausnahmen bilden nur die Stationen Barby, Schönebeck und Magdeburg, deren Bewohner von der Öffnung des Pretziener Wehrs am 15. August - allerdings wegen eines Dammbruchs zum Leidwesen der Einwohner der Ortschaften Heyrothsberge und Gübs - profitierten. Durch diesen 27 Kilometer langen und 1875 fertig gestellten Umflutkanal von Dornburg bis Lostau konnte der Hochwasserscheitel bei diesen Städten bis zu 50 Zentimeter abgeschwächt werden.

Weiter elbabwärts, in Höhe der Havelmündung, ist die Situation durch das erstmalige Öffnen der im Jahr 1954 fertig gestellten Sperrwerke wesentlich entschärft worden. Rund 800 Millionen Kubikmeter Elbwasser ergossen sich dadurch in die Havelauen. Wie gewollt kam es  somit zur Entspannung der Situation ab Wittenberge.

Bislang war das Hochwasser vom 5. Februar 1862 mit einem Wasserstand von 6,28 Metern das Maß aller Dinge für den Landkreis Wittenberg. Nach diesem Hochwasser sollten letztendlich alle Elbdämme ausgelegt werden. Der in diesen Tagen vielfach angestellte Vergleich zum Sommerhochwasser vom 14. Juli 1954  mit dem Höchststand von 5,82 Metern am Wittenberger Pegel ist Makulatur.

Im genannten Jahr bilanzierte man erhebliche Schäden im sächsischen Elbbereich, als das Flüsschen Gottleuba seine Ufer verlassen hatte und zum reißenden Strom wurde. Im damaligen Kreis Wittenberg blieb es bei kleineren Beeinträchtigungen - vorrangig bei landwirtschaftlichen Betrieben. In den Mittagsstunden des 18. August 2002 überstieg  der Wasserstand der Elbe den bisherigen Höchstwert um sage und schreibe 80 Zentimeter und erreichte mit 7,08 Metern den höchsten Wert aller Zeiten.

Der Schrägpegel an der Wittenberger Elbbrücke war mit 6,45 Metern ebenso wenig darauf vorbereitet, wie z. B. auch der in Elster (6,30 m). Die Pegelmarkierungen versanken im wahrsten Sinne des Wortes im Wasser. Andere Mess-Stellen wurden von der Flut weggerissen oder standen durch Stromausfall nicht zur Verfügung. Verfolgt man die geschichtlichen Hochwasserberichte aus authentischen Tageszeitungen, dann kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, Hochwasser gehört zu einem Fluss wie Fische zum Wasser. In Wittenberg wurde mit der Fertigstellung der dritten Elbbrücke im Jahr 1787 auch ein Pegelmesser in Betrieb genommen, nachdem große Überschwemmungen das damalige Kreisgebiet 1784 und 1785 heimgesucht hatten. Davor existieren keine eindeutigen Aussagen zu Wasserständen für den Bereich um Wittenberg, man konnte lediglich nach großen oder kleineren Fluten mit mehr oder weniger Nebenwirkungen unterscheiden.

Ein wichtiger Anhaltspunkt zur Einschätzung früherer Situationen ist  jedoch einer "Chronik der Dresdner Elbfluten" aus dem Jahr 1848 zu entnehmen, die bis ins Jahr 1015 zurück reicht. Mit Abstrichen kann man hieraus auch die historischen Wasserfluten in unserer Region ableiten. Dabei stand in Dresden das Wasser der Elbe seit tausend Jahren nicht über dem Wert des Jahres 1845 (10,87 Dresdner Ellen = 8,77 m). Der Wasserstand aus dem Jahr 1432 wird sogar "nur" mit einem Wert von 10,25 Ellen angegeben.

Da auch die Angabe der Jahreszeit nicht mit der Hochwassermarkierung  in der Wittenberger Elbstraße (Kugel mit Angabe des Wasserstands am 19. September 1432) korrespondiert, darf wohl davon ausgegangen werden, dass hier ein Irrtum vorliegt. Bedenken muss man allerdings, dass die Elbe zu jener Zeit ein anderes Aussehen hatte, keine Fahrrinne in der heutigen Form existierte und Dämme kaum bestanden. Das heißt, der Fluss war zu jener Zeit noch nicht durch Menschen verändert.

Von größter Bedeutung bei der Einschätzung eines Hochwassers war und ist immer noch die Jahreszeit des Ereignisses. Seit 1840 überstieg die Elbe zwölf Mal den Pegel von sechs Metern, davon sieben Mal im Winter (siehe Grafik). Nicht auszudenken, wenn die diesjährige Flut nicht im August, sondern im Februar oder erst im November die Dämme durchbrochen hätte.

Wie kam es zu diesem Katastrophen-Hochwasser? Wie schon im Juli 1954 saugte sich im August 2002 über dem Mittelmeer ein arktisches Tief mit feuchter Luft voll, zog nordwärts und entlud sich in flächendeckenden und sintflutartigen Regenfällen über das etwa 50 000 Quadratkilometer große Einflussgebiet der Elbe in der tschechischen Republik und im Erzgebirge.

In Zinnwald (Erzgebirge) und bei Budejovice (Budweis an der Moldau) fielen an einem Tag soviel Niederschläge, wie ansonsten in dreieinhalb Monaten. Die Statistik bricht alle Rekorde. In diesem Jahr traf es das Erzgebirge, den Bayrischen  Wald und das westliche Tschechien. Vom 6. bis 9. August und vom 11. bis 14. August fielen in der Summe 400 bis 600 Millimeter Niederschlag pro Quadratmeter im Gebirge und im böhmischen Becken. Im sächsischen Hügelland waren es rund 100 bis 300 Millimeter. Vergleichsweise beträgt die jährliche Niederschlagsmenge in Prag 487 Millimeter und in Dresden 660 Millimeter.

Aus diesen intensiven Niederschlägen, geschätzt werden insgesamt fünf Milliarden Kubikmeter, entwickelten sich die extremen Hochwässer in den Einzugsgebieten der Moldau, Freiberger und Zwickauer Mulde, sowie in den kleinen Flüsschen des Ost-Erzgebirges, die zeitversetzt die Elbe erreichten.

Zu allem Überfluss waren die vier Talsperren am Oberlauf der Moldau (Slapy, Kamyk, Orlik und Lipno mit einem Gasamtspeichervolumen von 1,5 Milliarden Kubikmeter Wasser) nicht mehr aufnahmefähig für diese immensen Regenfälle. Bei diesen Talsperren handelt es sich nicht nur um kleine Stauwehre, sondern um technische Meisterwerke mit Höhen bis 60 Meter, 1 000 Meter Breite und einer Länge von zusammen 120 km. Augenzeugen berichten, dass beim Ablassen des Wassers Vergleiche zu den Niagara-Fällen erlaubt sind.

In Malter (Erzgebirge) war es ähnlich. Mit dem zwangsläufigen Ablassen der Talsperren begann dann das Unglück. Selbst um die Karlsbrücke in Prag bangten nicht nur die Einwohner der Goldenen Stadt, schließlich wurde sie schon einmal im Jahre 1890 durch Treibgut zerstört. Die bisherige Höchstmarke in Prag mit 5,13 Metern (1845) wurde am 14. August 2002 mit 7,85 Metern deutlich übertroffen.

Alle Schäden, die durch diese Sintflut entstanden sind, können zum heutigen Zeitpunkt noch nicht bekannt sein. Schäden an Regelungsbauten wie etwa an Buhnen, Deck- und Längswerken, Kaimauern und Brückenpfeilern sind erst beurteilbar, wenn die Elbe eine Wasserführung unterhalb Mittelwasser hat. Eines steht jetzt schon fest: Hochwässer wie im Sommer 2002 sind als Katastrophen einzuordnen.