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OB Petra Wust Obervürgermeisterin Petra Wust: "Bitterfeld-Wolfen ist nicht unattraktiv und langweilig!"

Von Lisa Garn 19.03.2013, 20:28
Das Positive der Stadt müsse viel stärker kommuniziert werden, sagt Bitterfeld-Wolfens Stadtoberhaupt Petra Wust.
Das Positive der Stadt müsse viel stärker kommuniziert werden, sagt Bitterfeld-Wolfens Stadtoberhaupt Petra Wust. Kehrer

Bitterfeld-Wolfen - 145 Jugendliche haben an einer Umfrage unter Gymnasiasten und Berufsschülern über Bitterfeld-Wolfen teilgenommen, die Mehrzahl (93 Prozent) will die Stadt verlassen. Aus unterschiedlichen Gründen. Oberbürgermeisterin Petra Wust (parteilos) reagiert auf die Studie und sagt: Es besteht Nachholbedarf.

Hat Sie das Ergebnis der Studie erschrocken?
Wust: Es hat mich enttäuscht, denn es spiegelt nicht die Realität. Die hessischen Schüler beispielsweise, die sich für ihr Projekt unsere Stadt als Positiv-Beispiel für den Wandel ausgesucht haben, sehen Bitterfeld-Wolfen ganz anders. Und wir haben ja nicht deshalb so viele – gerade auch junge – Besucher, weil hier alles so negativ ist, sondern weil es den Menschen gefällt.

Warum wollen dann über 90 Prozent der Befragten weg? Das ist ja auch ein Teil der Elite, die fehlt.
Wust: Man darf bitte nicht vergessen, dass sich nur 145 von mehreren tausend jungen Menschen unserer Stadt an der Studie beteiligt haben. Und hinzu kommt: Junge Menschen wollen nach der Schule naturgemäß noch etwas anders sehen, gehen zum Studium weg ... Aus meiner Sicht haben die gegebenen Antworten viel mit der subjektiven Wahrnehmung der Befragten zu tun. Wir sind besser, als die Antworten vermuten lassen! Sie zeichnen Bitterfeld-Wolfen negativ, obwohl die Stadt das gar nicht ist.

Wie will man das ändern?
Wust: Das Positive müssen wir viel stärker vermitteln, hier sehe ich einen wichtigen Ansatz auch für die Kommunalpolitik. Wir müssen diejenigen besser erreichen, die offenbar nicht wissen, wie lebenswert unsere Stadt ist. Die Studie zeigt, dass wir offensichtlich noch nicht den richtigen Weg gefunden haben, die Vorteile allen Jugendlichen näherzubringen.

Bitterfeld-Wolfen wird als alt, unattraktiv und langweilig eingeschätzt. Wie wirkt das auf Sie?
Wust: Das zunehmende Alter der Bevölkerung ist ein Fakt, der dem demografischen Wandel geschuldet ist. Und er wird weiter voranschreiten. Nahezu jede Kommune ist davon betroffen. Unattraktiv und langweilig ist unsere Stadt aber keineswegs.

Also viel Lärm um nichts?
Wust: Es gibt Defizite, das wissen wir. Und wir arbeiten daran, sie abzustellen. Beispielsweise wenn es um die Sanierung der verfallenden Häuser oder den Abriss der Ruinen geht. Wir versuchen, unsere leider nur begrenzten Einflussmöglichkeiten konsequent zu nutzen. Nur: Stadtentwicklung kann man nicht in einer Woche umsetzen, das ist ein laufender Prozess. Und viel ist schon geschafft. Fast alle Schulen sind inzwischen saniert, Neues wurde gebaut - darunter zwei Kitas - und, wo nötig, Altes abgerissen.

Die Befragten wollen auch mehr Einrichtungen und Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche, mehr Gastronomie.
Wust: Wir haben mehr Kita-Plätze als tatsächlich genutzt werden. Es gibt in Bitterfeld-Wolfen mehrere Jugendclubs, die mit öffentlichem Geld finanziert werden. Daran hat sich seit den 90ern nichts geändert, obwohl die Zahl der Jugendlichen spürbar abgenommen hat. Auch eine Diskothek im Bitz ist vorhanden. Und die gastronomische Landschaft ist vielfältig; vor allem an der Goitzsche ist viel Neues entstanden. Natürlich kann es in unserer Stadt nie wie in Leipzig oder Halle sein, wo an jeder Ecke eine Lokalität zu finden ist; wir können uns nicht mit diesen viel größeren Städten vergleichen.

Offenbar reicht das Angebot trotzdem nicht allen. Ein Kino wird gewünscht, Discos, mehr kulturelle Angebote.
Wust: Als Stadt können wir im Bereich Privatwirtschaft selbst keine Angebote machen, beispielsweise eine Diskothek, eine Gaststätte oder ein Kino betreiben. Wir haben aber vielfältige Angebote für Kultur und Freizeit wie das Kulturhaus und den Kulturpalast.

Deren Programm richtet sich aber eher an die Älteren.
Wust: Der Großteil der Bevölkerung ist ja älteren Jahrgangs. Die dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Wir wollen für alle etwas tun. Alles ist jedoch immer auch eine Geldfrage, und vieles entscheidet sich letztlich darüber, wie viele Menschen das Angebot auch nutzen würden. Wenn zu einer Jugendveranstaltung im Kulturhaus beispielsweise nur zehn Jugendliche kommen, lohnt es sich schlicht nicht. Aber es gibt vielfältige Möglichkeiten für Veranstaltungen in den Jugendclubs.

Reichen die Angebote denn insgesamt aus?
Wust: Was die öffentlichen angeht, ja. Sie müssen aber auch genutzt werden. Da müssen wir noch mehr tun. Und es sind Grundlagen auch für neue Freizeitangebote in Bitterfeld-Wolfen vorhanden.

Wie kann sich da die Stadt einbringen?
Wust: Wo sich private Investoren im Bereich Kultur, Sport und Freizeit engagieren wollen, unterstützen wir sie. Sie werden gut aufgenommen und begleitet. Wir sind ihnen Ansprechpartner und geben Hilfestellung. Und, ganz wichtig: Wir stellen die erforderliche Infrastruktur bereit. Das tun wir beispielsweise auch mit der Entwicklung von Bitterfeld-Süd. Dort werden Flächen entstehen, die auch für den Freizeitbereich vorgesehen sind. Investoren wollen an der Goitzsche etwas entwickeln.

Jugendliche wünschen sich auch mehr Arbeitsmöglichkeiten.
Wust: Sicherlich kann man davon nie genug haben. Dennoch ist es eindeutig so, dass wir als Wirtschaftsstandort glücklicherweise über viele Arbeitsplätze verfügen. Klammert man die Entwicklung im Solar-Valley aus, die eine globale ist, so ist sogar eine steigende Tendenz zu verzeichnen. Viele Betriebe haben sich erweitert oder haben es noch vor. 14 000 Einpendler kommen zum Arbeiten her.

Und wie sieht es mit der Ausbildungssituation aus?
Wust: Vor Jahren musste die öffentliche Hand noch dafür werben, damit die Firmen mehr Ausbildungsplätze schaffen. Jetzt ist leider eine gegenläufige Entwicklung eingetreten: Unternehmen suchen händeringend geeignete Bewerber. Und es ist längst kein Einzelfall, dass Ausbildungsplätze mitunter auch wegen mangelnder fachlicher und sozialer Eignung der jungen Bewerber unbesetzt bleiben.

Mehr Grünflächen und schöne Parks werden ebenfalls vermisst.
Wust: Es gibt kaum eine andere vergleichbare Stadt mit mehr Grünflächen. Das ist auch durch Zahlen zu belegen. Erst von oben, bei einem Rundflug über die Stadt beispielsweise, sieht man, wie viele grüne Flächen wir haben.

Besteht ein Mangel bei den Einkaufsmöglichkeiten in der Innenstadt?
Wust: Es besteht unzweifelhaft Handlungsbedarf. Die Stadt kann aber nur an geeigneten Rahmenbedingungen arbeiten, was wir tun. Wir müssen der Gefahr entgegenwirken, dass sich die Märkte am Rand der Stadt ansiedeln, denn Einkaufsmöglichkeiten in der Innenstadt sind dringend notwendig.

Sind letztlich auch die Jugendlichen selbst gefordert?
Wust: Wir haben eine überdurchschnittlich vielfältige Vereinslandschaft, da sind ja nun auch nicht nur Rentner aktiv. Für die rund 300 Vereine stellen wir erhebliche finanzielle Mittel bereit, auch für junge Projekte wie jetzt im Wolfener Kino. Aber es kann eben nicht nur zur Kommune, ihrem Rat und ihrer Verwaltung geschaut werden, sondern es braucht auch Eigeninitiative. Auch die Jugendlichen müssen etwas tun, und viele tun vieles wie die Gruppe „Junge Macher“; also Leute, die sich einbringen und etwas auf die Beine stellen.

Ist die Stadt mit ihrer prekären Haushaltslage künftig viel mehr auf diese Eigeninitiative angewiesen?
Wust: Wünsche sind das eine, die Demografie und das zur Wunscherfüllung nötige Geld ist das andere. Vor dem Hintergrund der Finanzsituation können wir letztlich nur gemeinsam verhindern, dass wir als Stadt früher oder später nur noch die Aufgaben erledigen können, zu denen wir rechtlich verpflichtet sind - und dabei Angebote im Bereich Kultur, Sport und Freizeit auf der Strecke bleiben.

Verloren ist für Sie noch nichts?
Wust: Auf keinen Fall. Viele junge Menschen leben gern hier, ich denke, da müssen wir uns nicht verstecken. Und, ganz wichtig: Viele, die zunächst weggegangen sind, sind zurückgekommen oder wollen zurück. Nicht nur das lässt hoffen. Wir müssen nun auf Grundlage der Studie Wege finden, an unsere Jugendlichen besser heranzukommen und sie stärker einzubinden.