Nachruf auf Heidrun Heidecke Nachruf auf Heidrun Heidecke: Ein Leben für die Natur

Bitterfeld - Nie hat sie das Bild vergessen, das sie sich einst von Bitterfeld gemacht hatte. Nach dem Studium wollte Heidrun Heidecke dort auf keinen Fall arbeiten, geschweige denn leben. Was sie da sah und roch, das reichte ihr, erzählte sie einmal. Und dann kam es ganz anders: Das Bild von Bitterfeld wandelte sich - und das ist auch ihr zu verdanken, Heidrun Heidecke. Am Freitag wurde die Umweltexpertin und frühere sachsen-anhaltische Ministerin in ihrer Wohnung in Bitterfeld tot aufgefunden. Sie wurde nur 60 Jahre alt.
In der Region ist ihr Name untrennbar mit dem Umweltschutz und der Goitzsche-Wildnis verbunden. Mit Mitstreitern half Heidecke der Natur, in die vom Bergbau geschundene Landschaft zurückzukehren. Es waren ihr Tatendrang und ihre Kraft, mit denen sie Ideen verfolgte und durchsetzte. Sie dachte dabei weiter als manch anderer und machte weiter, auch wenn sie auf Gegenwind stieß.
Als Kind wollte sie Afrika-Forscherin werden oder Zoodirektorin. Als Erwachsene in der DDR wurde sie erst Lehrerin - und dann, nach dem Untergang des Sozialismus, Politikerin: die erste Ministerin von Bündnis90/Die Grünen im Osten. Wie so viele kam die Mutter zweier Kinder in den Wendejahren durch Zufall in die Politik. „Die kann doch so gut reden!“, mit diesen Worten schickte sie die Schul-Fachbereichsleiterin an den Runden Tisch in Magdeburg.
In der heutigen Landeshauptstadt gehörte Heidecke 1989 zu den Mitbegründern der Grünen in der Noch-DDR. Sie hatte ihren eigenen Kopf, war geradeheraus. Persönliche Überzeugungen standen bei ihr immer über der Parteiräson. Sie sei eben nicht „der Parteimensch, der sich bei Parteitagen in Klüngelrunden organisiert“, sagte sie einmal.
Dem politischen Aufstieg schadete ihr Hang zur Konsequenz nicht. Heidecke wurde 1994 Umweltministerin und Vize-Regierungschefin im Kabinett von Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD). „Sie war unser grünes Gewissen und sie ist ihren Weg immer gegen alle Widerstände gegangen“, erinnert sich die heutige Grünen-Landesvorsitzende Cornelia Lüddemann. Sie habe es der Partei bisweilen nicht leicht gemacht, und die Partei ihr auch nicht. Trotzdem war sie eine respektierte Führungsfigur. „Schon wenn sie die Hand gehoben hat, haben ihr alle zugehört.“
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In vier Jahren als Ministerin hat sie noch heute erkennbare Spuren hinterlassen. So veranlasste Heidecke die erste Windkraft-Potenzial-Analyse. Das war die Basis für die ökologische Wende und der Auslöser, warum Sachsen-Anhalt heute zu den Bundesländern mit den höchsten Anteilen erneuerbarer Energie gehört. Mit viel Verve stritt sie auch für ökologisch vertretbare Chemieansiedlungen und gegen das Atommüllendlager in Morsleben.
1998, als die Grünen aus dem Landtag flogen, resignierte Heidecke nicht. Sie kehrte zurück zu den Wurzeln. Wurde Mitglied einer Expertenkommission, nahm Lehraufträge an. Im Jahr 2000 kehrte sie den Grünen endgültig den Rücken. Sie begründete das mit der „Verschiebung des Atomausstiegs auf den Sankt Nimmerleinstag“.
Die Zeit der Kompromisse, sie war vorbei. Stattdessen baute Heidecke mit Gleichgesinnten beim BUND das Projekt Goitzsche-Wildnis in Bitterfeld auf und verwandelte die misshandelte Landschaft in ein Stück fast unberührte Natur. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) erklärte am Sonntag: „Heidrun Heidecke hat sich in ihrer langjährigen Arbeit um das Land Sachsen-Anhalt verdient gemacht. Dafür bin ich ihr dankbar.“
Ihr „Baby“ hat Heidecke die Goitzsche-Wildnis immer genannt, für die sie 2012 den Deutschen Naturschutzpreis bekam. Auf rund 1 300 Hektar hat die Natur freien Lauf, viele, auch seltene Tier- und Pflanzenarten siedelten sich an. Rund 150 Veranstaltungen im Jahr organisierten sie und ihre Mitstreiter. Heidecke führte durch die Goitzsche-Landschaft, hielt Vorträge, betreute den BUND-Wildnis-Infopunkt in Holzweißig.
Weil sie immer wieder selbst begeistert war, konnte sie auch andere begeistern. Auch deshalb hatte Heidecke einen besonderen Draht zu Kindern. Die Lust am Entdecken, ihre Unkompliziertheit und ihren Humor bewahrte sie sich ihr ganzes Leben. Eine ihrer größten Freuden war, dass der Seeadler an der Goitzsche wieder heimisch geworden ist. Für Heidecke wurde schließlich Bitterfeld zur neuen Heimat. Eine, in der sie unvergessen bleiben wird. (mz)
