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Nach der Scheidung ist Ost-Agfa ORWO

Von MANFRED GILL 03.04.2009, 16:01

WOLFEN/MZ. - Ende der 50er Jahre bereiteten sich beide auf die Scheidung vor. Die Leverkusener hatten nur noch Interesse an der Aufrechterhaltung des Grundlagenvertrages von 1956, bis sie mit eigenen Produkten den Markt bedienen konnten.

Zudem befürchteten sie durch die Ende der 50er Jahre zunehmenden Qualitätseinbrüche in Wolfen, hervorgerufen durch Einsatz minderwertiger Rohstoffe und hohe Fluktuation, dass der gute Ruf des Warenzeichens gefährdet wird.

Die Wolfener bekamen allmählich die Kehrseite des Vertrages zu spüren. Die westlichen Agfa-Auslandsvertretungen waren angewiesen, aus Wolfen nur noch das zu vertreiben, was Leverkusen selbst noch nicht herstellte. So sank der Absatz der Wolfener Produkte dort von 27,5 Millionen Valutamark 1959 auf 16,3 Millionen zwei Jahre später. Hinzu kamen die Auseinandersetzungen auf politischer Bühne, die mit Schlagworten wie Mauerbau, Störfreimachung, Röhrenembargo einher gingen. So wurde es für die DDR-Regierung politisch untragbar, dass auf den Wolfener Produkten, die Leverkusen vertrieb, nicht mit der Herkunftsbezeichnung "Wolfen" und "Deutsche Demokratische Republik" geworben werden durfte. Auf der "Photokina", der weltgrößten Photomesse in Köln, schloss zum Beispiel die Messeleitung am 1960 den Stand der Filmfabrik, weil dort Prospekte mit dem Aufdruck "Deutsche Demokratische Republik" ausgegeben worden waren.

Führende Genossen waren ohnehin der Meinung, dass sich die Filmfabrik und so auch die gesamte Filmindustrie der DDR zu sehr in die Abhängigkeit vom "Klassengegner" begeben hatte. Die Filmfabrik Wolfen sollte ein sozialistischer Betrieb sein. Im Werk waren die Meinungen geteilt. Immerhin hatte die Marke "Agfa" Tradition. Unter ihr wurde auch der erste praktikable Farbfilm der Welt entwickelt und vertrieben. Sie war in über 80 Ländern erfolgreich präsentiert und vertreten.

Die ökonomischen und politischen Zwänge waren aber gegen den Erhalt des Warenzeichens "Agfa" in Wolfen. Zum 1. April 1964, beschloss der DDR-Ministerrat, wird das Abkommens mit Leverkusen gekündigt. Der Vertrag wurde aufgelöst, das Warenzeichen für lächerliche 1,5 Millionen Valutamark an Leverkusen verkauft. Ein Angebot Leverkusens, gemeinsam in Drittländern aufzutreten, wurde strikt abgelehnt.

Gleichzeitig arbeitete man in Wolfen fieberhaft an der Einführung eines neuen Warenzeichens. Bereits 1954 hatte die Filmfabrik wegen der sich anbahnenden Auseinandersetzung mit Leverkusen das Warenzeichen "ORWO" angemeldet. Abgeleitet wurde es von ORiginal WOlfen. Es wurde das Warenzeichen für alle Film- und Fotoprodukte aus Wolfen, ab 1970 auch für alle Produkte der Kombinatsbetriebe.

Mit riesigem Aufwand wurde die Umstellung - in dieser Dimension übrigens einmalig in der DDR - vorbereitet. Ein "Literarisches Büro" wurde in der Filmfabrik gegründet. Neu eingestellt Fotofachjournalisten schrieben sich die Finger wund für nationale und internationale Fachzeitschriften. Neue Publikationen wie die "ORWO-Photoblätter" kamen heraus. Kalender und anderes Werbematerial wurden verteilt. Politische Argumentationen brachten alle DDR-Zeitungen - vom "Film-Funken" bis zum "Neuen Deutschland". Mit selbem Eifer wurde auch versucht, den Namen "Agfa" zu verbannen. Geschirr und Handtücher mit dem Namenszug wurden eingezogen, auf Tausenden wissenschaftlichen Dias wurde das Wort "Agfa" überklebt. Höhepunkt der Aktion war am 26. Februar 1964 der Besuch des ersten Stellvertreters des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Willi Stoph, in Wolfen. Er vollzog symbolisch den Warenzeichenwechsel.

Mit einem großen Werbeaufwand trat die Filmfabrik auf der anschließenden Frühjahrsmesse in Leipzig zum ersten Mal offiziell als ORWO-Filmfabrik auf. Passend zum neuen Namen stellte das Werk drei neue Filme vor. Alle erhielten werbewirksam Messegold. Stichtag für die erste Lieferung mit dem neuen Warenzeichen war der 1. April vor 45 Jahren. Die Umstellung und die damit verbundenen Werbekampagnen in 57 Ländern kosteten die DDR rund 36 Millionen Valutamark - ein Vielfaches von dem, was der Verkauf des Warenzeichens eingebracht hatte.

wird fortgesetzt