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Jahrhundertwinter 1978/79 Jahrhundertwinter 1978/79: Ein Bergmann erinnert sich an Kampf gegen Frost und Schnee

Von Christine Färber 31.12.2018, 13:00
Das ist keine Eisskulptur, sondern ein geplatzter Schieber. Das Wasser gefriert sofort bei eisiger Kälte.
Das ist keine Eisskulptur, sondern ein geplatzter Schieber. Das Wasser gefriert sofort bei eisiger Kälte. Gerhard Zeder

Bitterfeld - Die Katastrophe kommt über Nacht. Wie ein Blizzard überzieht eine Eisfront mit sibirischer Kälte den gesamten Osten Deutschlands zum Jahreswechsel 1978/79. Um über 20 Grad stürzen in wenigen Stunden die Temperaturen.

Züge stecken in meterhohen Schneewehen fest, Wohnungen bleiben kalt, Betriebe werden zurückgefahren, Förderbänder stehen still, Tiere verenden in der bitteren Kälte. Auch Menschen, wird man später erfahren, verlieren ihr Leben.

Kälteeinbruch kam wie aus heiterem Himmel

In den Braunkohletagebauen, aus denen quasi das Blut der DDR-Industrie fließt, rollt es - trotz allem. „Dieser Kälteeinbruch kam auch für uns aus heiterem Himmel“, erinnert sich der Bergmann Gerhard Zeder, damals Rohrleitungsbauer im Bitterfelder Revier und 35 Jahre alt.

„Aber umgehauen hat uns das nicht. Jeden Winter gab’s ja das selbe Problem: in den Waggons festgefrorene Kohle. Wir hatten aber immer Unterstützung durch Soldaten und Bauern aus den LPG, das muss man sagen. Manchmal bis zu 600! Und teilweise hatten wir auch Fahrzeuge von denen. Die Kohle musste ja weiter laufen. Egal, was ist.“ Und diesmal erhalten Tausende NVA-Soldaten den Marschbefehl in sämtliche Tagebaue der DDR, um mit Muskelkraft die Energieversorgung zu retten. Nicht zuletzt sind die Tagebaugroßgeräte selbst echte Stromfresser.

Die ersten Wochen des Jahres 1979 sind besonders hart in den Tagebauen

Ist die Arbeit in der Grube niemals ein Zuckerschlecken, sind diese Wochen bis in den Februar 1979 hinein für die Männer da draußen harte Wochen. Und eine lange, eiskalte Zeit. Die Kohle selbst, sagt Zeder, ist da nicht das Problem, die ist weich, für den Bagger griffig. Wohl aber der Abraum über dem Flöz, der gefroren ist und hart wie Stein. Manchmal muss Sprengstoff ran oder Lauge, damit der Boden locker wird. Und noch viel mehr und immer zuverlässig erweist sich der Transport des Rohstoffs hin zu den Kraftwerken, wo er zu Gold wird - zu Elektrizität und zu Dampf - als Problem.

Längst nämlich sind die Brocken in den Waggons, die vor vereisten Weichen und Signalen stehenbleiben, festgefroren. „Mit Brechstangen wurde die Kohle dann rausgeschlagen“, erzählt er. „Die Leute haben wirklich geschuftet. Das war keine schöne Arbeit.“ Und so gewaltig der Aufwand auch ist, zu wenig Kohle kommt in den Schlund der Öfen. Kraftwerke arbeiten nicht mehr unter Volldampf. Zeitweise wird es in der ganzen DDR zappenduster, Strom ist alle.

Gerhard Zeder selbst hat mit seinen Kollegen dafür zu sorgen, dass die Rohrleitungen, durch die das Oberflächenwasser in der Grube abfließt, durchlässig bleiben. Die liegen frei im eisigen Wind. Der zerrt bei klirrender Kälte auch an den Leuten, die unter freiem Himmel arbeiten. Die sind verpackt in Wattejacken und die guten alten Knobelbecher halten die Füße einigermaßen warm.

Zum Auftauen der Rohre wurde eine besondere Methode angewandt

Eine Wattehose? Zeder lacht. „Die hat keiner angezogen. Da konntest du dich doch nicht mehr bewegen.“ Die Männer sind pfiffig. Zum Auftauen der Rohre haben sie ihre eigene Methode: Ein Trecker zieht brennende Autoreifen hinter sich her und fährt mit seiner heißen Last an der zugefrorenen Leitung entlang. Schwarzer Qualm hüllt sie ein, es stinkt zum Himmel.

„Das haben wir gar nicht mehr gemerkt“, sagt er und winkt ab. „Wenn so ’ne Leitung erstmal wieder am Laufen ist, geht’s. Richtig Mist ist, wenn ein Schieber platzt oder ein Brunnenkopf einfriert.“ Feste Arbeitszeit - das ist jetzt ein Fremdwort. „Da ging es schon mal die Nacht durch. Musste ja.“

Hilferuf aus der Lausitz, um Abraumbrücke zu retten

Ein Hilferuf kommt aus Nochten in der Lausitz. „Die hatten immer tüchtige Schwierigkeiten mit der Entwässerung“, erklärt Zeder. Sechs Leute aus Bitterfeld machen sich auf den Weg, um eine Abraumbrücke zu retten. „Wenn so ein Ding zum Stehen kommt, das geht gar nicht“, sagt er. „Da kommt man ja nicht an die Kohle ran. In dem Winter hat man schon so manchmal von der Hand in den Mund gelebt.“ In Bitterfeld indes, erzählt er, haben die Bergleute Kohle öfter schon vorsorglich freigelegt - mit Blick auf einen strengen Winter und den Abraum, der dann zu Stein frieren wird.

Doch steht dieser Winter in Zeders Erinnerung nicht als der Jahrhundertwinter: „Aus meiner Sicht war der von 1971 schlimmer.“ Drei Kilometer Rohrleitung sind bei minus 25 Grad und pfeifendem Ostwind in einer einzigen Nacht in der Grube eingefroren. Rohre, die demontiert und in den Schacht 5 bei Döbern transportiert werden müssen. „Die wurden in den Schacht gehängt. Die warme Luft hat sie aufgetaut. Ich hab die Eisbrocken poltern hören. Das hat vielleicht gekracht“, blickt er zurück.

(mz)