Industrie- und Filmmuseum Wolfen Industrie- und Filmmuseum Wolfen: Gedächtnis aus Millionen Bildern

Wolfen - Ein Schatz geht im Industrie- und Filmmuseum gerade von Hand zu Hand. Einer, der aus Tausenden Fotofilmen, Dias und digitalen Bild-Dateien besteht. Und der, lässt man sich drauf ein, erzählt, was in den vergangenen 55 Jahren im Altkreis passiert ist.
Der Wolfener Fotograf Hans-Joachim Lösche übergibt seine komplette Sammlung dem Museum. Der Mann, der längst im beruflichen Ruhestand ist, kann dennoch nicht lassen von seiner Kamera. Wohl jeden Tag ist der über 60-Jährige wie damals noch immer unterwegs zwischen Brehna und Tornau, zwischen Werben und Krina und hält im Bild fest, was so passiert. Lösche hat sie alle: Die Großen und die Kleinen - die Betriebseröffnung wie den bedeutenden Besuch, die Kinder im Freibad wie das Karussell auf dem Rummel.
Am 22.Dezember 1993 wurde der erste Teil des Industrie- und Filmmuseums Wolfen eröffnet - übrigens als erstes neues Museum Sachsen-Anhalts nach der Wende.
1995 gelang es dem Verein, das Gebäude 0112, ein Industriedenkmal von 1909, zu erwerben. In ihm wurde das Museum errichtet. Bei den Arbeiten wurde berücksichtigt, dass die ehemalige Begießerei I nicht zum Museum umgebaut wird, sondern so erhalten bleibt, wie sie als Produktionsmaschine bis 1990 gearbeitet hat.
Derzeit ist die Ausstellung „Auge in Auge“ von Peter Wissing zu sehen.
Für Museumschef Uwe Holz ein Glücksfall. Zerlegt man Lösches Geschenk in Zahlen, sieht es so aus: 2.000 Kleinbildtaschen à sieben Filmstreifen mit jeweils 36 Fotos, 4 500 6x6-Rollfilm-Taschen mit jeweils zwölf Negativen. Und damit ist gerade die Zeit bis 1988 abgedeckt. „Da kommt noch viel Arbeit“, meint Lösche. Er ist glücklich darüber, dass seine ganze Arbeit erhalten bleibt und er sie „in guten Händen“ weiß.
„Ein Schatz“, sagt Museumschef Holz, wohl wissend, was er da jetzt in seinem Archiv verstaut. „Der wird mit den Jahren immer besser - wie ein guter Wein. Denn es werden immer weniger Leute, die sich noch erinnern können an das, was war. Die Filme sind ein Gedächtnis.“ Eins, auf das die Öffentlichkeit zugreifen kann.
Holz kann sich regelrecht vertiefen in dieses Gedächtnis aus lauter Filmstreifen, wenngleich es eine Unmenge an Arbeit ist, alles fachgerecht zu archivieren, um es auch in 20 und mehr Jahren noch vorzeigen zu können. Das bedeutet: Jeder einzelne der bis jetzt 14 000 vorliegenden Filmstreifen wird angefasst, abgeglichen, katalogisiert. „Welche Zeit die Aufarbeitung braucht, das wird in keinem Buch stehen“, meint Holz und lacht. Aber er sagt auch: „Wenn jemand wie Lösche kommt und uns sowas übergibt, ist das für uns eine Riesenfreude.“
Zweifellos sind der Schwerpunkt der Sammlung die Filmfabrik und Wolfen-Nord. Kein Wunder, ist das einstige Neubaugebiet, das am Rande von Wolfen aus dem Boden gestampft wurde, doch auch Lösches Heimat - nach wie vor übrigens. Und „die Film“ - das ist, so gesehen, Lösches Berufsleben. Hier hat er Filmfacharbeiter gelernt, hier ist er Werksfotograf gewesen und schließlich Fotograf für die Betriebszeitung „Filmfunken“.
Seine Fotos erzählen die Geschichte lückenlos: Vereidigung, Flohmarkt, Schulanfang. Kräne, Bagger, Bauarbeiter. Einzug, Umzug, Auszug. „Ich erinnere mich noch an alles, die Geschichten hab’ ich alle im Kopf“, sagt Lösche: Demo, Wende, Filmfabrik. Proteste, Transparente, Arbeitslose. Rückbau, Q-Cells, Optimisten. Die Tagebauriesen von Niemegk und die Aufführungen des Amateurtheaters, Jane Fonda am Silbersee, Angela Davis in Wolfen. All das - abgelichtet, festgehalten. Geronnene Zeit, die im Ifm-Archiv nun gespeichert ist. Dokumente, die interessant sind, die man mit Neugier betrachtet, die Geschichte sichtbar machen. Die nicht nur bewahren sondern auch vermitteln. „Ich habe zum Beispiel lange nicht gewusst, was für ein pulsierendes Leben in Wolfen-Nord war“, sagt Uwe Holz völlig überrascht.
Hans-Joachim Lösche, der sich zum Berufsfotografen fortgebildet hat, der mit der Kamera nach der Wende auch für die Bitterfelder Lokalausgabe der MZ und den Wochenspiegel unterwegs war, trennt sich leichten Herzens von seinen Fotos und Filmen, erklärt er. „Ich denke logisch: Wo sollen die Filme später hin? In die Mülltonne? Nee, dafür sind sie mir zu wichtig“, sagt er. „Mein Sohn, Berliner inzwischen, kann damit wenig anfangen.“ Und einer wie Museumschef Uwe Holz denkt genau so - aus Profession mit kühlem Kopf und aus Interesse mit ganzem Herzen. (mz)
