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Im Pfarrhaus entdeckt Im Pfarrhaus entdeckt: Wie kommt ein Care-Paket von 1948 nach Bitterfeld?

Von Frank Czerwonn 06.09.2020, 10:00
Pfarrer Johannes Toaspern zeigt, woraus einst der standardisierte Inhalt des gefundenen Care-Pakets aus dem Jahr 1948 bestanden hat. Der Karton wurde bei der Ausräumaktion im früheren Pfarrhaus gefunden.
Pfarrer Johannes Toaspern zeigt, woraus einst der standardisierte Inhalt des gefundenen Care-Pakets aus dem Jahr 1948 bestanden hat. Der Karton wurde bei der Ausräumaktion im früheren Pfarrhaus gefunden. André Kehrer

Bitterfeld - Bevor die Bauermeister-Gedächtniskirche und das benachbarte Pfarrhaus im Bitterfelder Ortsteil Deutsche Grube verkauft wurden, ging es ans große Ausräumen. Dabei hat Pfarrer Johannes Toaspern einen ungewöhnlichen Fund gemacht. In einem dreitürigen Kleiderschrank im Foyer des damals noch fast zugewucherten Hauses stand ein etwas ramponierter Karton.

Nichts ungewöhnliches in einem alten Gemäuer, das seit 1930 als Pfarrhaus diente und viele Veränderungen und Bewohner erlebt hat. Doch dann stutzt Toaspern. Denn der Aufdruck ist eine Überraschung: „CARE U.S.A.“ steht da in fetten Buchstaben. „Care-Pakete, das waren ja jene standardisierten Hilfssendungen, die die USA in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in die westlichen Besatzungszonen schickten, um der Bevölkerung zu helfen“, so der Pfarrer.

Und sofort ist ihm klar: Wir haben es hier mit einem historischen Dokument zu tun. Doch zugleich stellen sich ihm zwei Fragen: Wie ist das Paket in Bitterfeld, also der damals sowjetischen Besatzungszone, gelandet? Und wieso blieb der Karton mehr als 60 Jahre lang erhalten?

Die aufgedruckte Zahl 10-48 verrät, dass dieses Paket aus dem Oktober 1948 stammt

Die zweite Frage ist relativ schnell beantwortet. Denn mit einem Stift war auf den Karton „Krippenfiguren“ geschrieben worden. Und tatsächlich. Als der Pfarrer das Paket öffnet, findet er einen ganzen Satz schlichter Figuren aus Holz. „Die standen wohl zur Adventszeit in der Kirche und wurden den Rest des Jahres über hier sicher verwahrt.“

Kniffliger ist die Antwort auf die andere Frage. Denn die aufgedruckte Zahl 10-48 verrät, dass dieses Paket aus dem Oktober 1948 stammt. Care-Pakete wurden von wohltätigen Organisationen in den USA seit 1945 nach Deutschland verschickt.

„Sie waren in den ersten Jahren nach dem Krieg für viele hungernde Deutsche überlebenswichtig und haben sicherlich etliche Leben gerettet“, meint Toaspern. Doch 1948 waren die Amerikaner aus Bitterfeld lange abgezogen. Nur von Mai bis Juli 1945 waren sie hier in der Region anwesend. Danach übernahmen die sowjetischen Truppen - wie zuvor unter den Alliierten ausgehandelt - das Gebiet.

Toaspern hat ergreifende schriftliche Berichte aus den Jahren 1947/48 gefunden

„Der Karton muss zur Zeit der sowjetischen Besatzung in Bitterfeld eingetroffen sein“, meint der Pfarrer. „Doch er kann nicht über offizielle Kanäle hergekommen sein. Das hätten die Russen nie erlaubt.“

Für ihn gibt es nur eine Antwort: Das Care-Paket kam über innerkirchliche Wege hierher. Und es war sicherlich nicht das einzige. „Die Kirchengemeinde muss damals, noch vor der Gründung der DDR, ein Hotspot für solche Art der Hilfe unter der Oberfläche gewesen sein.“ Es habe ein großes Gemeindehaus gegeben mit Schwesternstation und umfangreicher Sozialarbeit.

Toaspern hat ergreifende schriftliche Berichte aus den Jahren 1947/48 gefunden, die von überfüllten Räumen sprechen. Die Diakonissen nahmen damals Flüchtlinge, Vergewaltigungsopfer und viele andere Heimatlose auf, versorgten sie, vermittelten ihnen Arbeit und Unterkunft. „In dem Zusammenhang muss auch ab und zu ein Care-Paket aus dem Westen herübergeschneit und der Inhalt verteilt worden sein.“

„Zeugnis einer sozialen Tätigkeit, die damals bitter nötig war“

Den Inhalt kennt Toaspern im Groben. Denn es gibt Listen. 1947 beherbergte solch ein Paket rund 40.000 Kilokalorien. Zur Grundausstattung gehörten unter anderem je ein Pfund Rindfleisch in Kraftbrühe, Steaks und Nieren, Schweineschmalz, Honig, Rosinen sowie Schokolade, je zwei Pfund Margarine, Zucker, Vollmilch-Pulver und Kaffee sowie ein halbes Pfund Speck und pulverisierte Eier. Alles Dinge, die auch im Bitterfelder Gebiet heiß begehrt waren.

Für Toaspern ist das unerwartet aufgetauchte Care-Paket „Zeugnis einer sozialen Tätigkeit, die damals bitter nötig war.“ Immerhin habe die Stadt in jenen Jahren die höchste Bevölkerungszahl in ihrer gesamten Geschichte gehabt. Dass der Fund die Zeiten überdauert hat, liegt aber nicht nur an seiner Nutzung, sondern vor allem an seiner speziellen Beschaffenheit. Der 40 mal 28 Zentimeter große Karton ist sehr stabil und laut Toaspern auch für den „sehr rauen Transport über das Meer“ gewappnet gewesen. „Es handelt sich um vierlagigen Karton, wobei zwischen der ersten und zweiten Lage eine Teerschicht gegen die Feuchtigkeit eingearbeitet wurde.“

Angesichts all dieser Fakten findet Johannes Toaspern, dass dieses Care-Paket ein Stück Bitterfelder Zeitgeschichte ist und ins Museum gehört. „Wenn es das Kreismuseum haben möchte, übergebe ich es gern.“ (mz)

Der Aufdruck 10-48 rechts auf der Oberseite beweist: Das Paket stammt aus dem Oktober 1948.
Der Aufdruck 10-48 rechts auf der Oberseite beweist: Das Paket stammt aus dem Oktober 1948.
Kehrer
Im Karton wurden hölzerne Krippenfiguren aufbewahrt.
Im Karton wurden hölzerne Krippenfiguren aufbewahrt.
Kehrer
In einem Schrank im verkauften Gemeindehaus stand das Care-Paket.
In einem Schrank im verkauften Gemeindehaus stand das Care-Paket.
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