Hilfe für das Seelenheil Hilfe für das Seelenheil: Es mangelt an Psychiatern im Landkreis Anhalt-Bitterfeld

Bitterfeld - „So lange ich zurückdenken kann, ist der Landkreis chronisch unterversorgt“, sagt Wolfram Günther vom Sozialpsychiatrischen Dienst des Landkreises und skizziert einen akuten Mangel an Psychiatern in Anhalt-Bitterfeld. Er beruft sich im Gesundheitsausschuss auf den aktuellen Landespsychiatrie-Bericht, dessen Einschätzung zu den Fachärzten für seelische Erkrankungen er absolut teilt.
In Anhalt-Bitterfeld fehlen demnach vollstationäre Angebote sowie eine (teil-)stationäre oder ambulante kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung. „Die Patienten sind weiterhin gezwungen, in Nachbarlandkreise auszuweichen“, heißt es in dem Bericht. Außerdem sei eine Erhöhung der tagesklinischen Kapazitäten für Erwachsene „dringend erforderlich“. Derzeit gibt es in Wolfen und in Zerbst Tageskliniken.
Der Vertreter des Anhalt-Bitterfelder Gesundheitsamtes erklärte dem Ausschuss zudem, dass sich die Zahl der niedergelassenen psychiatrischen Fachärzte von sechs auf fünf verringert hat. „In Köthen wechselte ein Psychiater in den Ruhestand“, sagte Günther. Eine andere sei bereits 76 Jahre alt. „Es fehlen Fachärzte“, monierte der Vertreter des Gesundheitsamtes.
Auch bei den psychotherapeutischen Praxen ist die Situation angespannt
Laut Kassenärztlicher Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA) könnten zwar weitere psychiatrisch tätige Ärzte in Anhalt-Bitterfeld neu zugelassen werden. Hier mangelt es aber an Bewerbern. Der von Günther angesprochene Verlust eines Facharztes in Köthen kann indes durch einen anderen in Bernburg kompensiert werden, meint die KVSA.
Dass in Anhalt-Bitterfeld Kinder- und Jugendpsychiater komplett fehlen, liegt laut der KVSA in der Natur der Sache: „Die Arztgruppe wird aufgrund ihres höheren Spezialisierungsgrades auf einer größer räumlichen Ebene geplant.“ Dabei fasst die KVSA den Raum Anhalt-Bitterfeld mit Dessau-Roßlau und Wittenberg zusammen. Drei Versorgungsaufträge befänden sich in Dessau-Roßlau. Dadurch könnten sich in den anderen beiden Landkreisen auch keine neuen Kinderpsychiater mehr niederlassen, so die Körperschaft.
Kaum besser und weiterhin angespannt ist die Situation in den psychotherapeutischen Praxen. Dort sind die Wartelisten landkreisweit noch immer lang. Die Bitterfelder Diplompsychologin und Psychotherapeutin Christina Litwin berichtet von derzeit drei bis vier Monaten Wartezeit für eine Therapie bei ihr. Immerhin habe sich die Situation in den vergangenen Jahren etwas entspannt.
Wartezeiten von über einem Jahr vor einem Erstgespräch
Litwin erinnert sich an Wartezeiten, die für die Patienten teils ein Jahr deutlich überstiegen, bevor Erstgespräche beginnen konnten. „Es sind mittlerweile etliche Therapeuten dazugekommen, jedoch scheint der Bedarf an psychotherapeutischer Behandlung weiter zu wachsen und ist noch immer deutlich größer als die vorhandene Zahl der Behandlungsplätze“, konstatiert die Therapeutin.
Wie kam es zu der leichten Entspannung? Nachdem der Gesetzgeber neue Psychotherapeutenstellen geschaffen hat, erhöhte sich laut der KVSA die Zahl der erteilten Versorgungsaufträge in Anhalt-Bitterfeld.
„Zumindest rechnerisch ist der Landkreis in diesem Bereich gut versorgt“
Die Körperschaft spricht von einem Anstieg von 20 auf 29,5 Versorgungsaufträgen binnen vier Jahren. Aktuell gebe es keine Zulassungsmöglichkeiten für weitere psychologische Psychotherapeuten wie zum Beispiel Christina Litwin eine ist. Auch für Kinder- oder Jugendlichen-Psychotherapeuten herrscht derzeit eine Sperre im Landkreis.
Die KVSA spricht insgesamt von einem Versorgungsgrad von über 100 Prozent, und zwar in allen Therapeutengruppen: bei ärztlichen Psychotherapeuten, psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendpsychotherapeuten. „Zumindest rechnerisch ist der Landkreis in diesem Bereich gut versorgt.“ Eine Einschätzung, die die Bitterfelder Therapeutin Litwin nicht zufriedenstellen dürfte. (mz)
In akuten Fällen muss die Kassenärztliche Vereinigung hilfesuchenden Patienten unter die Arme greifen können, wenn sie einen Psychiater benötigen: „Stellt ein überweisender Arzt die Dringlichkeit, zum Beispiel für eine psychiatrische Behandlung, fest, kann sich der Patient bei einer Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigungen melden.“
Die Vermittlung erfolge dann binnen vier Wochen. Allerdings kann sich der Patient dann den Arzt nicht aussuchen. „Er kann auch bis zu 30 Minuten von der nächstgelegenen Facharztpraxis entfernt sein“, so die Kassenärztliche Vereinigung auf MZ-Nachfrage.
Die Terminservicestelle der KSVA vermittelt seit dem 1. April 2017 auch Termine für Erstgespräche im Rahmen der psychotherapeutischen Sprechstunde. Gleiches gilt für einen Termin für die sich daraus ergebende zeitnah erforderliche Akutbehandlung.
Wenn jedoch die Kapazitäten der Therapeuten erschöpft sind, bleiben weiterhin lange Wartezeiten für Patienten. „Die einzig realistische Maßnahme, die psychotherapeutische Versorgung der hier ansässigen Bevölkerung zu verbessern, besteht in der kassenärztlichen Zulassung weiterer Psychotherapeuten“, sagt die Therapeutin Christina Litwin.