Flüchtlinge in Bitterfeld Flüchtlinge in Bitterfeld: Syrische Familie ist endlich angekommen

bitterfeld - Der 35-jährige Roschan ist Zahnarzt - spezialisiert auf Kieferorthopädie. Seine fünf Jahre jüngere Frau Vian hat Pharmazie studiert. Beide sind syrische Kurden. In ihrer Heimat waren sie fest verwurzelt, hatten gute Jobs. Er arbeitete in einer Zahnarztpraxis, sie in einer Apotheke. Vervollkommnet wird das Familienglück durch Sohn Dara, der Zehnjährige ist ihr ganzer Stolz.
Doch in Syrien tobt seit Jahren der Bürgerkrieg. „Wir hatten viel Angst“, sagt der Mann. Die sei immer schlimmer geworden, die Situation mit jedem Tag gefährlicher. Als die Schüsse immer näher fielen, sei es unerträglich geworden. „Wir wussten nicht, ob wir morgen noch leben“, sagt Vian. Deshalb ist die Familie im Juli aus ihrer Heimat geflohen, nur mit einer Tasche und den nötigsten Dingen im Gepäck. Alles andere haben die drei zurückgelassen. „Wie es heute zu Hause aussieht, wissen wir nicht.“
Fünf Personen in einer Wohnung
Nach einer anstrengenden Odyssee kamen sie Ende August in Bitterfeld an, leben mittlerweile in einer kleinen Wohnung - gemeinsam mit Zahra (31) und deren 27-jährigem Bruder Nrzer. Die beiden kommen aus der gleichen Gegend wie die dreiköpfige Familie - kennengelernt haben sie sich aber erst in Deutschland. Im Gespräch mit der MZ berichtet die Familie über ihre Erlebnisse.
Zu Fuß nach Ungarn
Erste Station der Flucht war die Türkei. Von dort setzten Mutter und Sohn ihren Weg vorerst allein fort - sie sollten so schnell wie möglich in Sicherheit sein. Mit anderen Flüchtlingen gelangten sie nach Griechenland, Mazedonien und Serbien. Mal mit dem Bus, mal mit dem Zug. Das erste Mal aufatmen konnten sie nach einem fünfstündigen Fußmarsch in einem Camp. „Doch nach drei Tagen wurden uns Zettel übergeben, auf denen stand, dass wir das Land verlassen sollen“, erzählt Vian. Sie flohen nach Ungarn - zu Fuß. Für Sohn Dara waren die Strapazen wohl zu groß, er wurde krank. In ihrer Not wandte sich die Mutter an die Polizei. „Wo wir hingebracht wurden, weiß ich nicht, vielleicht in ein Gefängnis.“ Auf jeden Fall habe eine Krankenschwester ihren Jungen dort mit Medikamenten versorgt.
Von anderen erfuhren sie dann, dass es von Budapest aus leichter sein soll, nach Deutschland zu kommen - und wagten es. Haben sich bis in die Hauptstadt durchgeschlagen und gelangten von dort aus in ein kleines deutsches Dorf kurz hinter der Grenze. Lebten erst auf der Straße und fanden dann doch ein Camp, wo sie unterkamen - und von dort schließlich in die Zentrale Aufnahmestelle nach Halberstadt gebracht wurden. Kontakt zum Vater gab es bis dahin nicht.
Todesangst auf Schlauchboot
Roschan hatte es mittlerweile bis auf eine griechische Insel geschafft - und schwebte bald in Todesangst. Denn er saß in einem der Schlauchboote, die für Flüchtlingstransporte eingesetzt wurden. „Wir haben alles, was ging, weggeworfen, um fortzukommen.“ Mit mehreren Tausend Leuten stand er dann an der Grenze zu Mazedonien, wo sie nicht willkommen waren. Erlebte, wie Flüchtlinge geschlagen wurden. Und nach einer Demonstration dann doch ins Land durften. Auch Roschan hatte noch einige Stationen und Strapazen vor sich - mit Tagen der Ungewissheit, Fußmärschen und Autofahrten. Bis auch er Deutschland erreichte und endlich wieder Kontakt zu seiner Familie aufnehmen konnte. So ist es möglich geworden, dass er ebenfalls nach Halberstadt kam und nach einem Umweg über Köthen schließlich nach Bitterfeld.
„Die Menschen hier sind alle sehr nett und haben sehr viel für uns getan“, sagt Roschan. „Das werden wir nie vergessen und dafür möchten wir herzlich danken.“ Stellvertretend nennen sie Pfarrer Johannes Toaspern, den sie gleich am Anfang trafen. Der ihnen bei der Kontaktaufnahme half und sie in ein Konzert mitnahm, der ihnen Bitterfeld zeigte und mit Rat und Tat zur Seite steht.
Hoffen auf Praktikum
„Es war sehr schwer, unsere Heimat zu verlassen“, sagt Vian. „Aber man muss auch an die Zukunft denken, an die Verantwortung für die Kinder.“ Deutschland soll ihre neue Heimat werden - sehr gern auch Bitterfeld. Sie hoffen auf die Aufenthaltsgenehmigung, wollen arbeiten. Das dürfen sie erst, wenn sie drei Monate im Land sind. Natürlich möchten sie wieder in ihren Berufen tätig sein. Und hoffen, vielleicht vorher das eine oder andere Praktikum absolvieren zu können, reinzuschnuppern eben.
Jetzt lernen sie erst einmal Deutsch. Mutter und Sohn nehmen an einem Kurs teil, der Vater wartet noch auf einen freien Platz. Nutzt aber die Zeit, der deutschen Sprache auf anderen Wegen Herr zu werden - nicht zuletzt mit Hilfe seines Sohnes. Der zeigt stolz, welche deutschen Worte er schon beherrscht - und freut sich auf die Schule. Die vorbereitende medizinische Untersuchung ist bereits erfolgt. Freunde hat er ebenfalls gefunden - nachmittags beim Spielen. Die Weichen sind gestellt. (mz)