Einsatz der Waffen aus reiner Notwehr
Bitterfeld/MZ. - Nach der Beweisaufnahme hat sich für den Staatsanwalt der Vorwurf der versuchten gefährlichen Körperverletzung bestätigt. Er beantragt für jeden der drei Polizisten zehn Monate Freiheitsentzug auf Bewährung plus Geldstrafe. Das Gericht jedoch entspricht mit seinem Urteil den Anträgen der Verteidiger: Es lautet Freispruch.
Sichtliche Erleichterung im Saal. Doch das Schulterklopfen und die Umarmungen von Kollegen sind nicht nur Ausdruck von Mitgefühl. Denn sie alle wissen, welche Last auf den Schultern der Angeklagten lag. Keiner von ihnen ist vor einer solchen Situation gefeit. Eine Situation, die sich keiner wünscht und vorstellen kann - das wurde mehr als deutlich. Was ist geschehen?
Es ist der 12. Mai 2003, kurz nach 22 Uhr. Ein Anruf beim Bitterfelder Polizeirevier: Auf einem Parkplatz beim Sandersdorfer Strandbad will sich ein Mann das Leben nehmen. Und: Er hat eine Pistole bei sich und auch schon zwei Mal damit geschossen.
Die Anrufer sind enge Freunde des Suizidgefährdeten, die sich nicht mehr zu helfen wissen. Er hat sich im Auto eingeschlossen, reagiert nicht. Sie erkennen ihn nicht wieder. Als die Schüsse fallen, bekommen die drei Männer Angst, rufen die Polizei. "Die Situation war unberechenbar", sagt einer von ihnen vor Gericht. "Und Freund hin und er, er ist verantwortlich dafür, ich hätte wahrscheinlich genau so gehandelt wie die Polizisten."
Wie unberechenbar das Ganze wirklich ist, soll sich zeigen. Die vor Ort eingetroffenen Streifenpolizisten leuchten das Auto des Mannes an, fahren ran, sehen die Pistole, kehren wieder um, fordern ein Sondereinsatzkommando an. Doch die Freunde drängen, haben Angst um den Kumpel: "Tut doch was!"
Mehrmals fordert ein Polizist den Mann lautstark auf, die Waffe aus dem Auto zu werfen und auszusteigen. Nichts passiert. Plötzlich öffnet sich die Autotür, der Mann steigt aus. Um nicht lebende Zielscheibe zu sein, löschen die Polizisten das Licht. Zwei von ihnen sind noch heute felsenfest davon überzeugt, Mündungsfeuer gesehen zu haben. "Der schießt!" ruft einer. Dann geht alles ganz schnell. Die Polizisten schießen. . .
Der Mann erleidet einen Oberschenkeldurchschuss - ohne bleibende Schäden zum Glück. Vor Gericht nun beschreibt er seine damals für ihn ausweglose Lage. Die Rufe der Polizei aber habe er nicht gehört, trotz des offenen Autodaches. Doch beim Aussteigen habe seine Pistole gesichert im Fahrzeug gelegen, geschossen habe er nicht auf die Polizisten.
Für Richter Hubert Grätz steht die Unschuld der Angeklagten fest. "Sicher gab es hier auch eine Verkettung unglücklicher Umstände, aber wie weit sind die den Angeklagten anzulasten?" Er spricht vom Druck auf die Polizisten in einer Situation, die sie überforderte. Und von der logischen Schlussfolgerung, dass sie mit dem erneuten Waffengebrauch des Mannes sehr wohl haben rechnen müssen. "Die Angeklagten haben in Wahrnehmung ihres Notwehrrechts gehandelt", sagt er. "Sie hatten kein Motiv, jemanden zu schädigen, sondern wollten sich und andere schützen."