Ein Gigant unter prüfenden Blicken
BITTERFELD/MZ. - Was Uwe Matschok und Jürgen Schuckelt da tun, das muss genau hinhauen. Immerhin: Es geht um zehntel Millimeter. Matschok setzt die Schiebelehre an. Die beiden Turbinenschlosser hocken eingezwängt zwischen dünnen, dicken und ganz dicken Röhren. "Sie stellen die Maschine ein", erklärt Vorarbeiter Lothar Sinen. Und er meint damit, sie messen die Einstellung eines neu installierten Teils der riesigen Gasturbine im envia-Therm-Kraftwerk aus, damit das einströmende Erdgas sich über die Ringleitungen gleichmäßig verteilt, so dass jede der sechs Brennkammern optimal funktionieren kann und Abgase so wenig wie möglich anfallen. Die Gasturbine ist das Herzstück des Kraftwerks. Steht sie still, geht hier gar nichts mehr.
Das Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk, das ausschließlich den hiesigen Chemiestandort vor allem mit Dampf versorgt, wird derzeit unter die Lupe genommen. Und das ist angesichts dessen, was hier während der jährlichen Revision überprüft wird, gar nicht mal so übertrieben. Diesmal stehen speziell die Brennkammern der Gasturbine im Blickpunkt, die durch Temperaturen von 1 100 Grad und mehr rund um die Uhr besonderer Belastung ausgesetzt sind. Auch Dampfturbine und Abhitzekessel werden inspiziert sowie dem angeschlossene Anlagenteile. Nach einer Check-Liste geht das hier vor sich und nach der Laufleistung. Wie beim Auto, macht Jan Löffler, Leiter der Maschinen- und Anlagentechnik bei envia-Therm, deutlich. "Die Arbeit an der Gasturbine ist die zeitkritische, die dauert am längsten. Die anderen Arbeiten laufen quasi in deren Windschatten."
Löffler ist dafür zuständig, die Schnittstellen der Abläufe zu koordinieren und alles in eine logische Folge zu bringen. Zum sechsten Mal macht er das und hat also Erfahrung. Lächelnd und mit dem Kopf nickend meint er: "Ich weiß, welche Tücken lauern. Aber leider: Es sind jedes Mal andere."
Im Herbst schon hat er mit der Vorbereitung des geplanten Kraftwerks-Stillstandes begonnen. Da ist nicht nur zu bedenken, was zu tun ist, welche Fachfirmen zu binden sind, wie die Versorgung des Standortes ununterbrochen weiter geht sondern auch, in welchem Zeitraum das Ganze passiert. Der muss so kurz wie möglich sein, schließlich geht es hier ums Geld. Die Unternehmen werden während der Revision über die sechs ausschließlich Dampf produzierenden Reservekessel versorgt, die für einen möglichen Störfall immer einsatzbereit sind. Doch nur wenn das Kraftwerk über Dampf-Wärme-Kopplung arbeitet, also sowohl Dampf als auch Strom produziert, ist es effektiv.
Weit über 60 Fachleute von Fremdfirmen sowie eigene wuseln auf der Baustelle. Jede Firma hat ihre spezielle Aufgabe. Turbinenschlosser Matthias Eschholz zieht mit ganzer Kraft riesige Muttern fest. Er hat die Filter des Hydrauliksystems gewechselt. "Eine Gasturbine ist ganz schön kompliziert", sagt er und legt den riesigen Schraubenschlüssel zur Seite. "Das kann nicht jeder", meint er, lacht und hebt die Augenbrauen, "das sollte (!) zumindest nicht jeder glauben zu können." Armaturen und Zuleitungen überprüft Erich Bodi. Mit einem Druck von 44 Bar, das sind zehn Prozent mehr als das, wofür die Leitung genormt ist, lässt er Stickstoff durch Rohre schießen. So prüft er die Festigkeit der Leitung. Obwohl er ein alter Fuchs in seinem Beruf ist, sagt er: "Das ist gefährlich. Da muss man schon alle Sinne beieinander haben und lieber einmal mehr überlegen."
Nach 15 Tagen ist die jährliche Revision, während der in zwei Schichten gearbeitet wird, beendet. Am Sonnabend wird die Turbine wieder anspringen.