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Drei junge Leute in Bulgarien erschossen

Von Stefan Appelius 10.01.2007, 20:22

Bitterfeld/Holzweißig/MZ. - Eberhard Melichar (21) war im "VEB Binnenfischerei Wermsdorf" im Betriebsteil Bitterfeld beschäftigt. Er wohnte in der betriebseigenen Baracke beim Heizkraftwerk. Der junge Mann mit den dunklen lockigen Haaren hatte viele Freunde in Bitterfeld. Und er war ein leidenschaftlicher Motorradfahrer, der oft mit seiner 350er "Java" unterwegs war. Doch sein großer Traum war es, in der Hochseefischerei zu arbeiten.

Da-von wollten die Machthaber in der DDR jedoch nichts wissen. Ein solcher Beruf kam für Eberhard nicht in Frage, denn er hatte "Verwandtschaft im Westen". Nachdem alle Bemühungen, vielleicht doch einen Job in seinem Traumberuf zu erreichen gescheitert waren, beschloss er "abzuhauen".

Irgendwie hatte er erfahren, dass es angeblich "ganz einfach" sei, über Bulgarien in den Westen zu gelangen. Und so fuhr Eberhard im Sommer 1974 gemeinsam mit seinem Freund Harry mit dem Motorrad nach Bulgarien. Dort haben ihn bulgarische Grenzer dann mitten in der Nacht brutal erschossen. Sein Freund hatte sich im letzten Moment zur Umkehr entschieden. Eberhards Leiche wurde in einem Vorort von Sofia beigesetzt. Die Eltern haben den genauen Platz nicht erfahren, durften sein Grab niemals sehen. Die geheime "Trauerfeier" für Eberhard fand dann in der Bitterfelder HO-Gaststätte "Der Stern" statt, wo seine Freunde eine Schweigeminute für ihn einlegten.

Erst jetzt erfuhr seine Schwester, wo Eberhard damals seine letzte Ruhestätte fand. Was ist aus Eberhards Freundin Marina geworden? Kam Eberhards Lederjacke damals mit Einschusslöchern zurück nach Bitterfeld?

Nur ein Jahr später ereilte das gleiche grausame Schicksal ein Pärchen, das ebenfalls aus Bitterfeld stammte: Klaus Prautzsch (28) aus Holzweißig und seine Verlobte Brigitte von Kistowski (27). Sie war in Bitterfeld unter ihrem Mädchennamen Brigitte Kurzweg aufgewachsen. Klaus und Brigitte hatten beide schon eine gescheiterte Ehe hinter sich, als sie sich kennen lernten. Auch Klaus war ein begeisterter Motorradfahrer. Der junge Ingenieur und die Büro-angestellte waren schon eine Weile zusammen. Sie hatten ein paar Monate zuvor eine gemeinsame kleine Wohnung in Leipzig bezogen.

Die Ferienreise nach Bulgarien hatte Klaus schon seit langer Zeit geplant. Im Juli 1975 war es dann soweit. Schwer bepackt ging es mit dem Motorrad gen Süden. In Bulgarien verbrachte das Pärchen mehrere Wochen Ferien. Erst in den Bergen und später dann am Meer. "Urlaub ist prima", schrieb Klaus Anfang August 1975 in einer Postkarte. Ein paar Tage später war das Pärchen tot. Sie wurden an einem bisher unbekannten Ort an der Grenze zu Griechenland von bulgarischen Grenzern regelrecht zersiebt. Ob sie überhaupt fliehen wollten, ist keineswegs sicher.

Am nächsten Tag lagen die Leichen auf einem Kasernenhof in Petrich und wurden später auf dem gleichen Friedhof beigesetzt, auf dem auch Eberhard Melichar ruht. Doch es gelang den Müttern der beiden, die Überführung nach Holzweißig durchzusetzen. Und so wurden Klaus und Brigitte Anfang November 1975 unter strengsten Sicher-heitsmaßnahmen in Holzweißig beigesetzt. In vernagelten Zinkkisten. In Bitterfeld kursierte damals das Gerücht, sie hätten sich mit dem Motorrad "den Kopf eingefah-ren".

Wer kannte Klaus und Brigitte? Und wer weiß, was aus Klaus' Motorrad wurde, das einige Monate später in einem Container nach Holzweißig zurück geschafft wurde? Diese und andere Fragen sollen - wie gesagt - jetzt im Rahmen eines Forschungsvorhabens aufgeklärt werden.