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Döbern-Tag Döbern-Tag: Wie ein Dorf von der Landkarte verschwand

Von Christine Färber 11.06.2016, 07:00
Eckhard Füssel - übrigens im Döbern-T-Shirt - an der Goitzsche. Der einstige Tagebau hat auch sein Heimatdorf geschluckt.
Eckhard Füssel - übrigens im Döbern-T-Shirt - an der Goitzsche. Der einstige Tagebau hat auch sein Heimatdorf geschluckt. André Kehrer

Bitterfeld - Die Nachricht wabert schon eine ganze Weile durch den Alltag der Döberner. Das Wabern wird zum Dorfgespräch. Und das wird Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre zur Gewissheit: Auch Döbern muss der Kohle weichen.

Eine Halbinsel im Tagebau

Aus allen Wolken fallen die Leute nicht. Die Bagger stehen ja schon fast in Griffweite. Döbern ist nur noch eine Halbinsel im Tagebau. Mit einer einzigen Straße, die in die kleine Welt da draußen führt. Der Schulbus muss eine andere Strecke fahren, Niemegk ist plötzlich viel zu weit.

Warum also sollte ausgerechnet Döbern stehen bleiben? Von Niemegk ist schon längst nichts mehr zu sehen. Vor fünf Jahren ist auch das letzte Haus dort weggeräumt worden. „Wir haben ja alle mitgekriegt, was vor der Hautür passiert. Jetzt war plötzlich das Nachbardorf dran“, blickt der Döberner Eckhard Füssel zurück. „Das war schon gruselig.“ Füssel ist 1957 geboren. Seine Kindheit und die kleinen Streiche, seine Jugend und die gerade entdeckte Liebe - das alles gehört zu Döbern. Das Dorf ist seine Heimat.

Das Döbern-Treffen beginnt am heutigen Sonnabend um 14 Uhr mit Kaffee und Kuchen. Im Fußballspiel, das um 17 Uhr anfängt, stehen sich die Traditionsmannschaft und ein Team aus Delitzsch gegenüber.

Falkner Johannes Lorenz aus Pouch ist mit seinen Vögeln vor Ort und gibt einen Einblick in sein Hobby. Er berichtet Interessantes über das Verhalten der Tiere. Eine Ausstellung historischer Fotografien wirft einen Blick zurück in den Alltag der weggebaggerten Dörfer. Eckhard Füssel, der die gestaltet, wartet mit neu entdeckten Fotos auf.

Das Döbern-Treffen ist eine offene Veranstaltung, zu der jedermann willkommen ist.

„So ein typisches Muldeaue-Dorf. Große Wiesen. Wald“

Döbern - war es eigentlich schön, das Dörfchen? Oder war es eher ein unauffälliger Ort? Füssel wiegt den Kopf. Schön? Naja. „So ein typisches Muldeaue-Dorf. Große Wiesen. Wald - der Bärenforst, die Hufe. Muldearme. Ja“, meint er, „es war landschaftlich schon schön. Und ich hatte eine gute Kindheit und Jugendzeit dort. Das kann man mit der Stadt nicht vergleichen.“

Doch in die Stadt müssen die Dörfler dann doch. Ob sie wollen oder nicht. Alle Wut, Proteste, Debatten und Diskussionen mit den Behörden und Bestimmern laufen ins Leere. Die Kohle hat Vorrang, die Menschen müssen sich fügen. Mit ein paar Pfennigen, sagt Füssel, werden sie abgefunden. Einige fügen sich auch gern, sie freuen sich auf die Neubauwohnung. Rund 4.000 Menschen übrigens aus mehreren Dörfer werden für den Bergbau in der Goitzsche insgesamt umgesiedelt.

Selbst der Friedhof musste umziehen

1982 läuten die Kirchenglocken in Döbern zum letzten Mal. Im selben und im folgenden Jahr werden die meisten Einwohner umgesiedelt. Nach Bitterfeld, in umliegende Dörfer. Der Friedhof kommt mit. Jede Grabstelle wird originalgetreu dort eingerichtet, wo die Familie nun wohnt. Die Dorfgemeinschaft, wie auch immer man dazu steht, ist auseinandergerissen.

Der Alltag steht auf dem Kopf. Nachbarn, Vertraute, Klatschbasen - alle müssen sich neu finden. „Wir haben uns die ersten Jahre immer noch auf ein Bier getroffen. Aber die Dorfidylle, die kriegst du nicht wieder hin. Dorffest, Feuerwehrball und so. Die Gemeinschaft war zerschnitten. Deswegen gibt’s das Döberntreffen.“

Eckhard Füssels Eltern haben schon bevor das Unfassbare fassbar wird sich in Bitterfeld ein Häuschen gekauft. Jede freie Minute geht dafür drauf. Vielleicht tut es dann nicht so weh, wenn man im Ende schon einen Anfang hat. Trotzdem: Wenn der Kopf ja sagt, heißt das noch lange nicht, dass auch das Herz dabei ist. „Meine Mutter hatte Arbeit in Bitterfeld. Auf dem Weg dorthin fuhr der Bus durch Döbern, an unserem Grundstück vorbei“, erzählt Füssel. „Dann hat sie gesehen: Die Gartentür steht offen, die Fensterscheiben sind eingeschlagen. ,Junge’, hat sie gesagt, ,du musst hin, die Tür zumachen.’ Wozu denn? Das alles hat sie sehr, sehr beschäftigt.“

Fotos als letzte Erinnerung

Für ihn selbst ist es leichter. Weil er gerade in der Umbruchphase bei der „Fahne“ ist, rücken Döbern und das Schicksal der Leute dort für ihn ein bisschen in den Hintergrund. Mit seiner Frau - „das schönste, was ich von Döbern mitnehmen konnte“ - zieht er dann nach Bitterfeld.

Ein Hobby-Fotograf hat damals alle Döberner noch schnell abgelichtet. Auch der Vater hat viel fotografiert.

Füssel sammelt die Fotos, um die Erinnerung zu bewahren. Schlimm findet er, dass er nicht mehr dorthin kann, wo er groß geworden ist. Dass er niemals seinen Töchtern zeigen kann, wo die Familie herkommt. Jedes Jahr gestaltet er daher eine große Fotoausstellung zum Döbern-Tag. „Ich freu’ mich, wenn die Leute davor stehen und die alten Geschichten wieder rauskramen. Und wenn sie fragen: ,Eckhard, wo haste das denn her?’ und ,guck ma, das ist doch ...’“

Ein Dorf verschwindet von der Landkarte

Verrückt, sagt Füssel, für ihn ist die Grube viele Jahre lang Arbeitgeber gewesen. Man kann es als Ironie des Schicksals bezeichnen: Letztlich hat er selbst daran mitgearbeitet, dass sein Dorf von der Landkarte verschwindet. Er nickt. Ja, so ist das gewesen. Traurig ist er, als es mit dem Bergbau zu Ende geht. Dann hat er nochmal richtig Glück: Aus der Sanierungsgesellschaft heraus findet er einen neuen Job. „Ich bin zufrieden“, sagt er. „Jetzt hab ich ein E-Bike und damit fahre ich um die Goitzsche. Die Batterie reicht einmal um den See.“

(mz)

Historischen Fotos erinnern an das Dörfchen Döbern.  Zu dem gehörte die Landwirtschaft. Der Dorfteich und die Kirche bildeten den Mittelpunkt  des Ortes. Die Kirchenglocken verstummten 1982 für immer.
Historischen Fotos erinnern an das Dörfchen Döbern.  Zu dem gehörte die Landwirtschaft. Der Dorfteich und die Kirche bildeten den Mittelpunkt  des Ortes. Die Kirchenglocken verstummten 1982 für immer.
Privat
Historischen Fotos erinnern an das Dörfchen Döbern.  Zu dem gehörte die Landwirtschaft. Der Dorfteich und die Kirche bildeten den Mittelpunkt  des Ortes. Die Kirchenglocken verstummten 1982 für immer.
Historischen Fotos erinnern an das Dörfchen Döbern.  Zu dem gehörte die Landwirtschaft. Der Dorfteich und die Kirche bildeten den Mittelpunkt  des Ortes. Die Kirchenglocken verstummten 1982 für immer.
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Historischen Fotos erinnern an das Dörfchen Döbern.  Zu dem gehörte die Landwirtschaft. Der Dorfteich und die Kirche bildeten den Mittelpunkt  des Ortes. Die Kirchenglocken verstummten 1982 für immer.
Historischen Fotos erinnern an das Dörfchen Döbern.  Zu dem gehörte die Landwirtschaft. Der Dorfteich und die Kirche bildeten den Mittelpunkt  des Ortes. Die Kirchenglocken verstummten 1982 für immer.
Privat