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Jahrhundertflut 2002 Die Gefahr ist nicht vorbei - Vor 20 Jahren klagen die Helfer in den Hochwassergebieten über Übelkeit

Wo das Wasser geht, tauchen Probleme auf. Personen müssen ins Krankenhaus. Sind nur Hitze und Gestank die Ursachen dafür? Und was wird aus im Wasser treibenden Öl- und Gastanks?

Von Ulf Rostalsky Aktualisiert: 25.08.2022, 12:48
Bundeswehrangehörige stehen hüfthoch im Hochwasser in Bitterfeld: Was wirklich in der dunklen Brühe schwimmt, wissen sie nicht.
Bundeswehrangehörige stehen hüfthoch im Hochwasser in Bitterfeld: Was wirklich in der dunklen Brühe schwimmt, wissen sie nicht. (Foto: Michael Maul)

Bitterfeld/MZ - Blauer Himmel und Sonnenschein. Dazu die Gewissheit, dass der Muldedeich bei Pouch geschlossen ist und Wasser aus dieser Richtung nicht mehr in die Goitzsche fließen kann. Es ist ruhig im Altkreis Bitterfeld an jenem 23. August des Jahres 2002 - so jedenfalls der erste Eindruck.

Denn schnell offenbart sich, dass die Gefahr längst nicht vorüber ist. Das gilt für die noch immer übervolle Goitzsche. Das gilt aber auch in den Orten, aus denen sich das Wasser zu großen Teilen bereits zurückgezogen hat. Einwohner und Helfer stöhnen. Kathrin Wöhler aus Raguhn berichtet unter ihrem Mädchennamen Steinmetz von anhaltender Übelkeit und sucht nach Ursachen. Die heiße Sonne, die lauten Pumpen, der Gestank. Es sind die ständigen Begleiter in der Flutgebieten. Sie belasten Anwohner, sie machen aber auch den Helfern zu schaffen.

THW-Leute im Krankenhaus - Vorerkrankungen als Ursache?

Udo Pawelczyk, Sprecher der Bitterfelder Landkreisverwaltung, bestätigt am Vormittag, dass zwei Männer, die für das Technische Hilfswerk in Raguhn im Einsatz waren und dort unter anderem mit Pumpen Wasser aus Kellern und niedrig gelegenen Grundstücksteilen entfernten, arge Probleme hatten. Sie kamen ins Krankenhaus nach Wolfen, wurden dort stationär aufgenommen und versorgt. Am Ende sprachen die Verantwortlichen in beiden Fällen von asthmatischen Erkrankungen. Fest stand auf jeden Fall: Der Einsatz im Hochwassergebiet ist nicht ohne. Und es ist ein Glücksfall, dass der eigentlich schon aufgegebene Wolfener Krankenhausstandort schnell wieder voll arbeiten konnte. Das neue Bitterfelder Klinikum war da bereits nach der Überflutung außer Dienst gestellt.

THW-Helfer waren überall im Einsatz. Zwei von ihnen mussten ins Krankenhaus.
THW-Helfer waren überall im Einsatz. Zwei von ihnen mussten ins Krankenhaus.
(Foto: Michael Maul)

Das Wasser kam schnell, flutete in der Nacht vom 13. auf den 14. August 2002 Jeßnitz und Raguhn, Tage später Teile von Bitterfeld. Nicht lange brauchte es, bis eine zweite Flut einsetzte. „Eine neue Welle hat uns erreicht. Die der Unterstützung und Spenden“, stellte Kathrin Steinmetz schnell fest. Und Matthias Martz, Geschäftsführer des DRK-Kreisverbandes, erkannte vor den randvollen Lagern der DRK-Kleiderkammer in der Bitterfelder Mittelstraße: „Wir haben das Zehnfache von dem, was wir sonst in unseren Lagern haben“. Dabei ist der Scheitelpunkt der Hilfswelle längst nicht erreicht.

Spenden kommen mit dem Zug aus Kiel

In Wolfen rangieren die Lok-Führer der Regionalbahn einen Waggon aufs Abstellgleis. Der war in Kiel auf die Reise geschickt worden - randvoll mit praktisch allem, was im Flutgebiet gebraucht wird. Regionalbahn-Mitarbeiter und freiwillige Helfe entladen den Waggon in Windeseile. Auffällig viele Einrichtungsgegenstände und Matratzen sind dabei. Auch diese werden dringend benötigt. Zum Beispiel in den beiden großen Wolfener Wohnungsunternehmen. Gerhard Jaenichen, damals Vorstand der Wohnungsgenossenschaft, spricht von 40 vorbereiteten Genossenschaftswohnungen. 20 werden bereits von Flutopfern genutzt. Sie kommen kostenfrei unter, müssen für Wasser und Strom nichts bezahlen.

Spenden kamen auch mit dem Zug. In Wolfen wurden sie entladen.
Spenden kamen auch mit dem Zug. In Wolfen wurden sie entladen.
(Foto: Wolf Lux)
In Raguhn war ein Discounter überflutet. Das große Aufräumen folgte später.
In Raguhn war ein Discounter überflutet. Das große Aufräumen folgte später.
(Foto: Michael Maul)

Ein Heerlager voller Helfer - In Bitterfeld gibt es auch ein Lazarett

Ein wahres Heerlager ist parallel dazu auf dem Bitterfelder Babcock-Gelände entstanden. Hier sind Hunderte Soldaten und Helfer von Feuerwehr, Rotem Kreuz und Technischem Hilfswerk untergebracht. Fachleute des DRK aus Karlsruhe haben gleich ein ganzes Lazarett aufgebaut. Man will bereit sein für den Ernstfall - und hofft insgeheim, dass der nicht eintreten wird. Doch die Kunde von der Gefahr macht nicht nur wegen der beiden im Krankenhaus liegenden Helfer die Runde. Alle dort haben selbst längst mitbekommen, dass der Einsatz nicht von Pappe ist. Sie helfen: trotz im Wasser treibender Gas- und Öltanks, trotz Ölschichten auf und Tierkadavern im Wasser. Sie stemmen sich gegen die Katastrophe, die ein paar Kilometer weiter der Normalität weicht: In Wolfen hat das Freizeitbad „Woliday“ wieder täglich geöffnet.