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Die Folgen der Flut Die Folgen der Flut: Mulde bricht brutal in Leben ein

Von Brigitte Mittelsdorf 25.08.2002, 17:45

Jeßnitz/Raguhn/MZ. - Die Greifer der Bagger laden unablässig Schutt auf die Autos. Besen, Schaufeln, Hacken vor den Häusern. Container, blaue Säcke mit Müll, Kabelgewirr, verdorbene Möbel. Neue Steppbetten in durchsichtigen Folien, Toilettenpapier und andere Hilfsgüter liegen auf den Straßen in Jeßnitz, Wohin damit, wenn die Wohnung zur nassen Ödnis wurde?

Die Bilder vom geruhsamen Wochenende stimmen schon lange nicht mehr. Während die einen, zu denen das Wasser nicht kam, sich ausruhen können vom Alltag, versuchen die anderen, sich zurechtzufinden in einer unwirklichen, nicht begreifbaren Welt. Mit all dem Entsetzen im Herzen, das sie noch lange verfolgen wird. Mit all den Bildern im Kopf, die sich krass gegenüber stehen: So hat es mal ausgesehen. Und so sieht es jetzt aus.

"Ich wußte nicht, ob das Haus stehen bleibt." Rainer Dardas Heim am Anger 39 in Jeßnitz ist unterspült worden. Der kleine Hof, einst blühende Oase hinter der hohen Eingangstür, ist kaum betretbar: Hier liegt, zum Berg geschichtet, der Küchenfußboden. In der stand das Wasser bis in die Besteckkästen. Erschrecken, das sich im Haus fortsetzt. Der kleine Kamin erinnert an nicht mehr vorstellbare Gemütlichkeit. Sand, wo dereinst Parkett war. Feuchte Leere. "Alles musste raus", sagt Darda, "die Fußböden, die Möbel, alles kaputt." Wie kann man leben damit? Schulterzucken. "Wir können doch nicht einfach aufgeben." Gattin Reinhild zeigt Fotografien: Vorher. Jetzt. Auf rund 50 000 Euro schätzt sie den Schaden, Garage und Garten nicht mitgerechnet. "Man hätte uns eher informieren müssen", sagt sie.

Auf dem Hof haben sich viele Leute versammelt. Sohn Sebastian, Freunde. Kollegen. "Alle kommen ganz selbstverständlich." Ein bisschen Freude in diesem schrecklichen Wirrwarr: "Die Nachbarschaftshilfe ist toll", sagt Darda. Werkzeug wird gegenseitig ausgeborgt, wer unterwegs ist, bringt Brötchen mit. Doch gewohnt werden kann hier noch nicht. "Küche und Bad funktionieren nicht. Wir warten auf Strom." Und: "Weihnachten soll nichts mehr an das Wasser erinnern."

Raguhn. Wittenberger Straße 35. Detlef und Bettina Gebauer haben kaum noch Worte für all das Elend, das einmal ihr Zuhause gewesen ist. Ungeheuerlich brutal hat hier die Mulde gewütet. Hat die Mauern vom steinernen Halbbogen zum Hof zur Hälfte weggerissen und diesen kratertief ausgehölt. Gebauers stehen jetzt auf einer Art schmalen Terrasse, dem Rest vom Hof, und blicken in wüste Gerölltiefe. Die sich weit fortsetzt bis hinten in den Garten. Die grüne Waschhaustür hängt in der Luft. Kanalrohre streben ins Leere. Mauern sind einfach weggebrochen. Und im Haus stand das Wasser zwei Meter hoch... "Das alte Bett der Mulde", sagt Detlef Gebauer, "soll hier mal lang geflossen sein."

Wie die Dardas haben auch die Gebauers keine Elementarversicherung. "Das schaffen wir schon wieder", sagt der Mann mit hilfloser Tapferkeit, auch wenn er nicht weiß, wie. Selbst die Feuerwehrleute aus Waldaschaff, Goldbach und Haibach aus der Nähe von Aschaffenburg, die gerade das Öl aus dem Keller pumpen, haben keine Worte mehr: "So etwas wie hier haben wir noch nicht gesehen." Und meinen auch all die anderen, fast nicht erträglichen Bilder dieses Sonnabends und der vergangenen Tage.

Kleckewitz. Angerstraße. Vier Jahre alt ist Maximilian. Erstaunt sieht er zu, wie sein Schaukelpferd, ölverschmiert und nass, auf die Straße gestellt wird. Drei Generationen wohnten in diesem wunderschönen Gehöft. Der Rohbau für die jungen Leute war gerade fertig, die Fußbodenheizung gelegt. Die Tiere in den Ställen hatten es gut.

Verwüstung auch hier. Die Wohnung der alten Leutchen überflutet, leer. Tapeten abgerissen, die Dielen ölgetränkt. Draußen stapelt sich das, was unbrauchbar wurde. "Wir leben jetzt bei meinen Schwestern in Möhlau", erzählt Körtings Gattin. "Und die Tiere auch. Die Schafe dürfen auf die Wiesen der Nachbarn dort." Ihre alten Schwiegereltern schütteln nur den Kopf und weinen.