Dem sozialen Rotstift folgt nun depressive Stimmung
BITTERFELD-WOLFEN/MZ. - "Ich kann es einfach nicht nachvollziehen", sagt Hannelore Finke über das am Montag vorgestellte "Sparpaket" der schwarz-gelben Koalition. Die Vorsitzende des Arbeitslosenhilfevereins Landkreis Anhalt-Bitterfeld fragt vor dem Hintergrund der vorgestellten Kürzungen bzw. Streichungen bei den Zuschlägen für Arbeitslose, den Beiträgen zur Rentenversicherung und des Elterngeldes bei ALG II-Empfängern oder dem Heizkostenzuschuss: "Was sollen die davon betroffenen Menschen denn jetzt machen?"
Auch im Wolfener Sozialkaufhaus greift der stellvertretende Projektleiter Matthias Berger diese Frage auf. "Bei uns können ausschließlich Arbeitslosengeld II-Empfänger oder von der GEZ befreite Bürger einkaufen", sagt er. "Seit der Gründung vor drei Jahren haben wir 2 875 Kunden bei uns in die Kartei aufgenommen. Vor dem Hintergrund der geplanten Maßnahmen des Sparpakets gehe ich davon aus, dass viele von den Auswirkungen betroffen sein werden und dass daher auch die Zahl unserer Kunden ansteigen wird."
Denn ins Sozialkaufhaus kämen eben jene, die Einrichtungsgegenstände des täglichen Bedarfs benötigten und sich diese schlichtweg in anderen Geschäften nicht mehr leisten könnten. Daher sei das Sparpaket aus Bergers Sicht eine "Hiobsbotschaft". "Unsere derzeitige Stimmung kann man nur noch mit dem Wort 'depressiv' umschreiben", sagt Berger, "denn hier kommen schließlich nur Menschen her, die schon genug Einschnitte im Leben erfahren haben."
Vor allem durch die Streichung des Elterngelds für die ALG II-Empfänger seien nun junge Familien bzw. alleinerziehende Mütter stark betroffen. Aber auch die Streichung des Heizkostenzuschusses würden die Menschen unmittelbar zu spüren bekommen. Mittelbare Auswirkungen hingegen habe die Streichung der Beiträge zur Rentversicherung. "Damit nimmt man nicht nur Altersarmut in Kauf, man verstärkt sie sogar", meint Berger.
Doch diese Probleme bekämen nicht nur die Kunden des Sozialkaufhauses zu spüren, sondern auch die Mitarbeiter. "Wir haben vier Beschäftigte, die über den Kommunalkombi eingestellt wurden und 22 so genannte Ein-Euro-Jobber", sagt der stellvertretende Projektleiter und verweist an Brigitta Henning. "Seit Oktober 2009 bin ich eine Beschäftigte mit Mehraufwandsentschädigung, also eine Ein-Euro-Jobberin", sagt sie. Während sie spricht, gesellen sich immer Kollegen hinzu. "Wir sind diesen vorgeschlagenen Maßnahmen schutzlos ausgesetzt", ist zu hören und, "es geht immer auf die Kleinen." Aber auch die finanzielle Tragweite des vorgeschlagenen Sparpakets ist ein Thema. "Wie viel bleibt denn da am Ende noch übrig", lautet eine Frage.
"Viele wissen jetzt noch nicht, was genau auf sie zukommt", fasst es Matthias Berger zusammen. "Die gestrichenen Beiträge zur Rentenversicherung merkt man ja nicht sofort, dass wird sich erst später niederschlagen." Auch daher herrscht Ratlosigkeit. "Was aus den Menschen wird", fragt Berger rhetorisch. "Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht."
Ähnliches ist auch bei den Ein-Euro-Jobbern in der Recyclingwerkstatt der Bitterfelder Qualifizierungs- und Projektierungsgesellschaft (BQP), in der Fernseh- und andere Geräte für das Sozialkaufhaus aufgearbeitet werden, zu hören. Reinhard Schneider, der 26 Jahre als Anlagenfahrer und - techniker in den Rohrwerken in Muldenstein gearbeitet hat, bewegen vor allem die Rentenpunkte, die bei den Hartz-IV-Empfängern durch die eingesparten staatlichen Beiträge zur Rentenversicherung fehlen werden. "Für die Älteren, die 20 oder 30 Jahre gearbeitet haben, mag das noch gehen. Aber die Jüngeren, die werden es richtig spüren." "Ich werde wohl nur noch kalt duschen können", meint ein 53-jähriger Elektriker und rechnet vor, dass er Abschlagszahlungen von monatlich 50 Euro verkraften muss. "Und wo wird berücksichtigt, dass es zum 1. Juli wieder neue Strompreise gibt?" Er habe all die Jahre gearbeitet und mache auch jetzt noch für eine kleine Mehraufwandsentschädigung, die gerade mal für das Fahrgeld reicht, etwas Vernünftiges. Doch das werde nicht anerkannt. "Wir haben keine Lobby und fühlen uns von der Gesellschaft ausgeschlossen", fasst ein Mitarbeiter der BQP die Empfindungen der Männer zusammen. Es klingt resigniert.