Bitterfeld Bitterfeld: Lebenswichtig gewesen für Wolfen
WOLFEN/MZ. - Buch "85 Jahre Filmfabrik Wolfen". Das sind alle von Manfred Gill verfassten Beiträge zum Thema, die im vergangenen und in diesem Jahr in der Mitteldeutschen Zeitung als Serie "Von Agfa zu Orwo" erschienen sind.
Viele Nachfragen in den vergangenen Monaten in der MZ-Redaktion sind der wohl schönste Beweis dafür, wie großartig die Texte vom einstigen Archivar der Filmfabrik angekommen sind, wie sie die Herzen der Menschen berührt haben. Und: wie gewaltig das Interesse an der geschichtlichen Aufarbeitung und auch an der kollektiven wie eigenen Erinnerung ist. "Aufstieg und Untergang einer Weltfirma" - das ist der Untertitel. Und das ist das eigentliche Thema. Gill gelingt es, mit einfachen Worten und oftmals nur winzigen Episoden große Zusammenhänge darzustellen. Er zeigt das Unternehmen, für das 1909 der erste Spatenstich vollzogen wurde und das bereits ein Jahr später seine Produktion aufnahm, das zum größten europäischen Filmhersteller avancierte, das exzellente Forschung betrieb und ein bedeutsames Stück Technik- und Wissenschaftsgeschichte geschrieben hat, das unzählige innovative Produkte hervorbrachte und dessen Geschichte dennoch zu Ende gehen musste.
Die Bilder der Erinnerung bekommen in Gills Kapiteln Farbe, die Menschen ein Gesicht. Für viele einstige Mitarbeiter entsteht die Zeit in der Filmfabrik wieder vor
ihrem inneren Auge. Wer erinnert sich an "Lilo Hermann", die erste Frauenbrigade im größten Frauenbetrieb der DDR? Wer hat noch die Reklame für Wolpryla und Dederon im Gedächtnis? Wer weiß noch, wie es war, als der "rote Stern" fiel? All das kann man nicht nur nachlesen, man kann sein Gedächtnis auch mit den vielen Fotos auffrischen. Auch die, die diese Zeit nicht selbst erlebt haben, tauchen ein in diese ganz eigene Welt der Filmfabrik, die eben mehr war als nur eine Fabrik. ",Die Film' - das war die Stadt", sagt Horst Kühn, Vorsitzender des Fördervereins Ifm, dazu. Und das ist nicht aus der Luft gegriffen. Denn ohne das Werk gäbe es so wohl den Ort nicht. Es ist, wie es ist: Der Film hat Wolfen gemacht und Wolfen hat den Film gemacht. "Dass ,die Film' das war, was sie war, das verdankt sie den Menschen. Wer kann heute schon eine ununterbrochene 45-jährige Betriebsbiografie vorweisen? Sehr viele Filmwerker können es. Und so sind sie verwachsen mit ihrem Betrieb", sagt Ifm-Chef Uwe Holz.
Wie auch immer - in wohl keinem anderen Unternehmen und wahrscheinlich kaum einem anderen Ort wird man das heute noch lebendige Gefühl der Gemeinsamkeit, ja, auch einer gewissen Verschworenheit, erleben. Doch bei aller Euphorie, die ihre Nahrung auch aus der vergehenden Zeit zieht, die die Konturen weicher werden lässt, führt Gill wieder auf den Boden der Tatsachen. Das ist gut und richtig und es zeugt von gesundem Abstand und objektiver Sicht. Die Filmfabrik ist kein Mythos. Gill, der selbst viele Jahre hier gearbeitet hat, weiß, wovon er spricht. Ganz deutlich bringt er so zum Beispiel auch in Erinnerung, an welchem Abgrund zu späten DDR-Zeiten in den Orwo-Betriebsbereichen gearbeitet wurde und welche Umweltbelastung auch von Wolfen ausging. Dennoch: Die Filmfabrik hat an der Weltspitze mitgemischt. Mit dem ersten praktikablen Farbfilm, den das Unternehmen 1936 auf den Markt brachte, ging es in die Geschichte ein. Doch gibt es neben exzellenten wissenschaftlich-technischen Erfindungen, Entwicklungen und Produkten sowie großzügigen Sozialleistungen in der Geschichte der Filmfabrik, die ab 1925 zur IG Farben gehört und später deren Leitbetrieb war, auch ein bedrückendes, dunkles Kapitel. Auch dieses Gesicht des Unternehmens zeigt Gill in aller Eindringlichkeit.
Der Autor führt den Leser durch die Höhen und Tiefen, lässt ihn hinter die Kulissen blicken und gibt ihm einen Einblick in die Macht- und Weisungsstrukturen. Es lohnt sich durchaus, das Buch zur Hand zu nehmen, weil es ein ehrlicher, gelungener Rückblick ist.
Zu kaufen gibt es das Buch "85 Jahre Filmfabrik Wolfen - Aufstieg und Untergang einer Weltfirma" im Industrie- und Filmmuseum Wolfen, in den Buchhandlungen Krommer, in der Thalia-Buchhandlung im Rathaus-Center Dessau, im Copy-Shop Ullmann in Bobbau sowie beim Verein Ifm in der Parsevalstraße 13 in Bitterfeld.