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Ausstellung Ausstellung: Unterwegs durch die Zeit mit kleinen Unschärfen

Von ANDREAS HÜBNER 05.08.2010, 17:25

BITTERFELD/MZ. - Ein Tannenzapfen am Wegesrand - ein Straßenspiegel - oder aber eine sich kaum bewegende Schnecke im Unterholz würde die wenigsten dazu bringen, eine Kamera hervorzuholen und den Moment zu verewigen. "Nicht jeder sieht es, und die meisten gehen achtlos daran vorbei", erklärt Joachim Müller, warum die Fotografien von Marcella Lerch ihn persönlich begeistern, "die Künstlerin hat einen ganz besonderen Blick."

In der Bitterfelder Galerie Ratswall wurde bereits Ende der Vorwoche die zweite eigene Ausstellung der Hobby - Fotografin eröffnet. Titel: "Unterwegs". Die Ploddaerin - die sich erst seit 2002 bewusst und intensiv mit dem Fotografieren beschäftigt - lädt mit ihren Arbeiten auf eine Reise der ganz exquisiten Art ein. Nicht etwa berühmte Sehenswürdigkeiten oder Attraktionen bilden den Mittelpunkt ihrer Bilder. "Faszinationen sind für mich die gegebenen Einfachheiten", beschreibt sie - schon fast vorsichtig - ihre Motivation.

Die Künstlerin wurde 1963 geboren und wuchs in Köthen und Bernburg auf. Nach der Schule verschlug es sie im Alter von 19 Jahren in die Bitterfeld-Wolfener Region. Heute wohnt sie in Plodda. Seit 1982 arbeitet sie als staatlich anerkannte Heimerzieherin. Sie spielt Volleyball im Verein und engagiert sich im Fotoclub "digital" Wolfen.

Die neu eröffnete Ausstellung enthält Aufnahmen ab 2007, die sie auf ihren "Sehnsuchtsreisen, während Urlaubszeiten und auf Pilgerwegen" gemacht hat. Der erste Blickfang - und am Eröffnungstag auch sofort Auslöser für verschiedene geflüsterte Diskussionen - beim Betreten der Galerie: Ein Tannenzapfen, der verloren auf dem Waldboden liegt und nur durch das kleine natürliche Spot-Licht der Sonne in den Mittelpunkt rückt. "Fokussierung", nennt sie das Bild und lässt völlig offen, ob sie sich mit diesem Titel auf die Sonnenstrahlen oder die kaum merkbare Unschärfe der Fotografie bezieht.

Spätestens das zweite Bild - "Eine Frage der Perspektive" - machte den zahlreich erschienenen Gästen der Eröffnungsveranstaltung recht schnell klar, dass Marcella Lerch eine ganz eigene Art hat, die Welt zu sehen und zu zeigen. Die Aufnahme zeigt eine Magnolie in ihrem eigenen Garten aus einer Perspektive, die nur wenige Fotografen - vielleicht sogar nur sie - wählen würden. "Ich drücke halt gern drauf", erklärt sie ihren Gästen.

Alle Aufnahmen der Ausstellung sind digitale Fotografien. Die technische Aufarbeitung am Computer aber sei überhaupt nicht ihr Ding, und so stören sie etwa kleine Unschärfen oder andere Fehler nicht. Sie bewundere die "Technik-Freaks" zwar, genieße an ihren Arbeiten aber besonders "diese Unfeinheiten".

Joachim Müller, ein langjähriger enger Freund der Künstlerin, hielt zur Eröffnung eine kleine Laudatio und musste so seiner Freundin offenbaren, dass er sich das erste Mal die Zeit genommen habe, sich intensiv mit ihrem Hobby und den Werken beschäftigen. "Obwohl ich dich schon seit 19 Jahren kenne", so der Laudator, "habe ich so viele neue Seiten an dir entdeckt." Den Gästen legte er ebenso ans Herz, "sich Zeit zu nehmen".

Zeit ist offenbar ein wichtiges Thema für Marcella Lerch. So zeigt eine der Fotografien - die meisten sind im Format von 70 mal 50 Zentimeter ausgestellt - eine grüne Schnecke, die sich an dem Stiel einer Pflanze auf dem Weg nach oben befindet: "Zeithaben." Ähnlich interessant die Abbildung eines fast leeren Bahnsteiges auf irgendeinem Bahnhof. Es ist kein Zug zu sehen - und auch nur ein oder zwei vereinzelte scheinbar bewegungslose wartende Fahrgäste. Im Vordergrund die Bahnhofsuhr - ohne Zeiger und daher: "Zeitlos."

Gemeinsam mit ihrem Mann Detlef pilgerte sie von Merseburg nach Vacha und von Görlitz bis Plodda. Viele der Aufnahmen seien dabei entstanden. "Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit dem Rucksack losziehe", erklärte sie der MZ. Doch sie habe sich die Zeit genommen und hoffe, dass die Ausstellungsbesucher ein wenig inspiriert werden, es ihr gleich zu tun, denn "Zeit ist das Einzige, was wirklich gerecht verteilt ist. Jeder hat 24 Stunden!" Auf einem kleineren Foto hielt sie eine weitere Schnecke, die am Wegesrand umher"eilte", fest und nennt das augenzwinkernd: "Auch unterwegs."