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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Waidmanns Dank für den Problembären

Von MATTHIAS PRASSE 22.09.2010, 17:35

SCHIERAU/MZ. - Auch in Schierau sorgte einst ein Bär für helle Aufregung. Die Geschichte des 1382 erstmals erwähnten Ortes Schierau ist eng mit dem alten Adelsgeschlecht derer aus dem Winckel verbunden. Schon 1411 belehnten die Herzöge Rudolf und Albrecht von Sachsen-Wittenberg den Hauptmann des Magdeburger Erzbischofs, Rudolf aus dem Winckel, mit dem Gut zu Schierau.

Die Burgen von Schierau

Doch wo lag der Herrensitz jener Tage wirklich? Nordöstlich des heutigen Gutes befinden sich die Reste von gleich zwei mittelalterlichen Burgen. Die größere von beiden, im Ort als Alte Burg in der Ziegelbreite bekannt, besteht aus einem imposanten viereckigen Burghügel mit umlaufenden Graben und vorgelagertem Wall. Etwa 150 Meter nördlich davon, im "Seehauicht", befindet sich die zweite Anlage. Sie ist auch kleiner. Keramikfunde datieren beide Anlagen ins Hochmittelalter, ins 13. und 14. Jahrhundert.

Vielleicht waren es Hochwasserkatastrophen, die jene Burgen zerstörten und eine Verlegung des Herrensitzes ins Dorf sinnvoll machten. Und so könnte das 1411 erwähnte Gut bereits am heutigen Dorfplatz gelegen haben. Hier schließt der überaus große Hof südlich an das Kirchengrundstück an. Das Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert ist ein eher unscheinbarer einstöckiger Bau und entging wohl auch deshalb (im Gegensatz zu seinem dominanten Speicher) der Eintragung in das Denkmalverzeichnis des Landkreises 2004.

Heute wird der Hof durch die Agrargesellschaft Schierau genutzt. Generation um Generation lösten sich die Herren aus dem Winckel auf Schierau ab, gingen eheliche Verbindungen ein mit den ältesten Familien der Region. Genannt seien beispielhaft die Reppichau auf Alt-Jeßnitz oder die Schaderitz auf Gröbzig, damals die Besitzer der größten privaten Herrschaft in Anhalt.

Spuren im Dorf hinterlassen

Aus dem Hause Schaderitz entstammte auch die Mutter eines Mannes, dessen Wirken heute noch Spuren im Dorf hinterlassen hat. Ein Renaissancemensch Hans aus dem Winckel, Herr über Schierau in der Renaissance, war 1539 auf dem Edelhof Schierau geboren. Nach dem Tode der Eltern wächst der Junge bei Verwandten und Paten auf, erlernt bei den Grafen von Mansfeld das Waffenhandwerk und lebt zwei Jahre am königlichen Hof in Spanien. Man findet ihn kämpfend in den Schlachten von St. Quentin und Grevelingen, in Dänemark und Genua. Eher friedlich begleitet der welterfahrene Mann aus Schierau Fürst Bernhard von Anhalt auf dessen zweijähriger Kavalierstour nach Italien. In den 1580er Jahren lässt er umfangreiche Arbeiten an der Kirche seines Heimatdorfes vornehmen, die prächtigen Renaissancegiebel des Kirchturmes könnten ebenfalls auf ihn zurückgehen. Bis zu seinem Tode 1612 zeugte er in zwei Ehen 16 Kinder. Seine Söhne teilen das Erbe, Schierau fällt an Hans Ernst, der halb Europa kannte.

Hans Ernst hatte seine Brüder ausgezahlt und das Geld dafür in Teilen geborgt, der wirtschaftliche Niedergang während des Dreißigjährigen Krieges brachte ihn an den Rand des Ruins. Abwechslung in den arbeitsintensiven Alltag brachte da die Sichtung eines Braunbären1628 im Schierauer Forstrevier. Statt wie wild draufzuknallen, lässt man sich in Schierau Zeit. Hans Ernst ist die Jagdleidenschaft seines Landesherren, Kurfürst Johann Georg, wohl bekannt. Und so lädt man den Kurfürsten samt Hofgefolge nach Schierau zur gemeinsamen Jagd. Musketen knallen, Hunde bellen und am Schluss ist auch hier der Bär tot. Der Kurfürst zeigt sich finanziell dankbar und lässt im Anschluss auf seine Kosten ein Gemälde anfertigen, das den Bären zeigt und später im Gutshaus Möst hing. Der heutige Verbleib ist unbekannt.

Erst Ende des 18. Jahrhunderts zerreißt das jahrhundertealte Band zwischen den aus dem Winckel und den Dörfern Schierau, Priorau, Möst. Der alte Jagd-Winckel 1779 fällt Schierau an Georg Franz Dietrich a.d. W. Dieser hatte eigentlich eine waidmännische Karriere angestrebt, die aber durch einen Makel seines Stammbaums nicht zustande kam. Der, so die Familienchronik derer aus dem Winckel: "könnte freilich nur auf der mütterlichen Seite gelegen haben, da seine Vorfahren väterlicherseits niemals eine bürgerliche Verbindung eingegangen wären". Enttäuscht zog sich Georg Franz Dietrich auf das ererbte Gut Schierau zurück und widmete sich fortan eigenen forstlichen Studien.

Doch die finanziellen Verhältnisse verschlechterten sich massiv und zwangen ihn, Schierau, das älteste Stammgut der Familie aus dem Winckel, zu veräußern. 1794 wurde Schierau an einen Strohmann des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau verkauft, um wenige Jahre später direkt in den Besitz der fürstlichen Familie überzugehen. Übrigens hatte man Georg Franz Dietrich beim Verkauf die Zusage einer späteren Anstellung im Anhaltischen Forst- oder Jagddienst gegeben, hielt diese Zusage aber nicht ein. So wandte er enttäuscht im Jahr 1802 Dessau den Rücken zu. In den kommenden Jahren veröffentlichte er seine vielseitigen jagdlichen und forstwirtschaftlichen Erfahrungen. Mit seinem "Handbuch für Jäger und Jagdliebhaber" stieg er in die Reihe der bekanntesten Jagdschriftsteller Europas auf.

Bis heute ist das Jagen ein beliebtes Freizeitvergnügen des Adels und bestimmt nicht unwesentlich neben Festen und gegenseitigen Besuchen das gesellschaftliche Leben des Adels. Und man staunt, wie viele adlige Haushalte tatsächlich ein Abonnement für "Pirsch" oder "Wild und Hund" oder beide Zeitschriften haben und das junge Adlige mitunter den Jagdschein vor dem Führerschein haben.

Dies alles hat historische Gründe, denn bis ins 19. Jahrhundert hinein war die Jagd ein aristokratisches Vorrecht. Gab es in Europa ursprünglich ein freies Jagdrecht, wurde dies im Mittelalter zum Privileg des Adels. Es ist daher nicht ganz zufällig, dass fast ausnahmslos alle älteren Lehrwerke über die Jagd von Adligen verfasst wurden. Georg Franz Dietrich fand schließlich in Franken eine seinen Wünschen entsprechende Tätigkeit. Im hohen Alter kehrte er in die geliebte Heimat nach Schierau zurück und beendete hier 1839 sein Leben. Sein Grabstein war bis 1945 Anlaufpunkt für Jäger aus ganz Deutschland, die sich auch um die Pflege kümmerten. Heute erinnert an den großen Sohn des Dorfes zumindest in Schierau nichts mehr.

Für den Autor wurde die Beschäftigung mit Georg Franz Dietrich aus dem Winckel auf Schierau übrigens ganz persönlich, denn der Königlich Sächsische Zollamtsassistent Georg Curt aus dem Winckel (1840-1879) war der Ururgroßonkel des Verfassers und der Enkel des Alten Jagd-Winckels.