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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Ist ein zweiter Psychiater notwendig?

10.12.2010, 16:42

BITTERFELD/DESSAU/MZ/ABE. - Im Schwurgerichtsprozess gegen zwei Männer aus Bitterfeld-Wolfen, die sich vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau wegen gefährlicher Körperverletzung zu verantworten haben, ist nicht ausgeschlossen, dass sich demnächst ein weiterer Sachverständiger mit der psychischen Verfassung des jüngeren Angeklagten beschäftigt.

Staatsanwalt Gunnar von Wolffersdorff wirft dem 21-Jährigen vor, gemeinsam mit einem 27 Jahre alten Mann am 7. Mai dieses Jahres im Bereich der Bitterfelder Puschkinstraße einen 46-Jährigen zunächst gewürgt und anschließend mit massiven Schlägen und Tritten traktiert zu haben. Ob ein zusätzlicher Experte hinzugezogen wird, entscheidet sich möglicherweise am 17. Dezember.

Zur Sicherheit beraumte der Vorsitzende Richter Thomas Knief aber bereits einen zweiten Fortsetzungstermin an, der am 7. Januar 2011 stattfinden soll. Knief selbst hatte zum Beispiel Zweifel angemeldet, dass die Fähigkeit des 21-Jährigen, anderen Menschen gegenüber Mitgefühl zu zeigen, unzureichend ausgeprägt sei. Für kritikwürdig hielt er zudem, eine Diagnose, die dem Angeklagten im Herbst 2002 während eines Aufenthalts in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie gestellt wurde, ohne Abstriche in die Gegenwart zu übernehmen. "Damals war er 13 Jahre alt", verwies der Richter auf die verstrichene Zeit.

Zuvor hatte Dr. Hubert Becker erläutert, dass es dem jungen Mann aufgrund seiner Intelligenzminderung schwer falle, sich in andere Gruppen zu integrieren. "Die psychosoziale Anpassung ist beeinträchtigt. Er fühlt sich schnell provoziert und reagiert häufig unangemessen aufgebracht", meinte der Facharzt. Dieser Persönlichkeitszug sei auch am Tattag zum Tragen gekommen, als der Angeklagte das Opfer auf der Straße mit einem Tritt in die Kniekehlen zu Fall brachte, weil ihm vorgeworfen worden war, er habe die körperlichen Übergriffe des anderen Angeklagten, die sich vorher in einer Wohnung ereigneten, nicht verhindert. Die Wiederholung solcher aggressiven Reaktionen wollte Becker für die Zukunft nicht ausschließen.

Auf die Frage des Vorsitzenden, weshalb er sich nicht nochmals selbst mit der intellektuellen Leistungsfähigkeit des 21-Jährigen beschäftigte, entgegnete der Psychiater, er sei von einer korrekten Ermittlung des bei 63 liegenden Intelligenzquotienten ausgegangen. "Es gibt ein gewisses Vertrauen in die Kliniken. Das Ergebnis passte zu meinem jetzigen Eindruck", fügte er hinzu. Absolute Gewissheit erhielten die Prozessbeteiligten derweil von einem 20-Jährigen, der mit dem jüngeren Angeklagten in der Jugendanstalt Raßnitz zeitweilig auf einer Wohngruppe lebte. Der Zeuge bestätigte definitiv, dass er auf Wunsch des sich ihm anvertrauenden Mithäftlings ("Wir vertrugen uns gut.") einen Brief verfasste, in dem dieser seine Schuld einräumte. Die ersten Gespräche über den Vorfall seien dem 21-Jährigen nicht leicht gefallen. Später habe er sich jedoch das Geschehene vom Herzen reden wollen. "Er hatte Tränen in den Augen und zeigte Reue. Er bedauerte, dass es so weit kam. Das wollte er nicht", sagte der Zeuge. Korrekt sei zudem, dass er dem Angeklagten empfahl, den Alkoholkonsum nicht als Ausrede für den Gewaltausbruch zu benutzen. "Was er damals getrunken hatte, stellte er aus meiner Warte übertrieben dar", bekannte der 20-Jährige.