Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: In Würde fotografiert
wolfen/MZ. - Manchmal verrieten ihr nur die Gerüche, wo sie war. An jeder Stelle der Filmfabrik Wolfen hat es anders geschmeckt, anders gerochen, erinnert sich Christine Becker. Sie war dort vor 30 Jahren Werkfotografin, kam direkt von der Ostsee und hat die unüberschaubare Größe der Fabrik gar nicht fassen können. Und dann, oft fast im Vorbeigehen hat sie die Menschen darin fotografiert. Nie zurecht gerückt oder gestellt, sondern immer dort, wo sie gerade waren und immer so, wie sie waren. Zu sehen sind die Arbeiterporträts aus den 80er Jahren nun in der Ausstellung "Gesichter der Filmfabrik Wolfen". Eine Schau, die schon vor der Eröffnung für Diskussionen sorgte. Denn zu sehen sind nicht glattgebügelte Werbefotos, sondern Menschen in schwarz-weiß, deren Gesichter von harter Arbeit in der Chemiefaserabteilung erzählen. Oft alt, müde und abgekämpft blicken sie den Betrachter an. Resignation und Trotz Eine Frau steht da an einem Wagen, auf dem Zellstoffplatten liegen, sie scheint sich daran festzuhalten. Sie blickt ernst, fast schüchtern. Auf dem Bild daneben ein junger Mann, auch er lächelt nicht, aber in seinen Augen blitzt etwas, etwas von Stärke oder Kampfgeist. Die Bilder zeigen manches Mal Resignation, aber eben auch so etwas wie Stolz und Trotz. Die Menschen präsentieren sich nicht in weißen Kitteln in klinisch reinem Umfeld, sondern ihre Gesichter sind grau, haben teilweise tiefe Falten, ihre Kleidung ist schmutzig. Und genau das macht diese Porträts so besonders: Sie zeigen eine Wirklichkeit in der Filmfabrik, die es eben auch gab.
Man sieht Fotografien der Chemiefaserabteilung, die vom Zerfall künden. Steine bröckeln, die Farbe blättert ab, auf dem Boden rinnen Flüssigkeiten. Arbeiter stehen neben Behältern, an denen Chemikalien übergelaufen und verhärtet sind. Wie die Frau, die eine Gasmaske hält - in der Hand. Auch das wird deutlich: Dass ungeschützt mit hochgiftigen Bestandteilen hantiert wurde. Aber es sind auch Frauen im Sommerkleidchen und weißen Schuhen zu sehen, eine Urkunde in der Hand, daneben hängt Honecker an der Wand. Andere hat die Fotografin zu Hause besucht: Man sieht Arbeiter in ihrer Freizeit, einen neben Zeichnungen, einen anderen im Garten.
Gegen Konformismus
Nicht wie man sich sehen will, sondern wie es war - das möchte die Ausstellung zeigen, sagt der Leiter des Industrie- und Filmmuseums, Uwe Holz. "Es gab schönere und repräsentativere Bereiche, aber es ging darum zu zeigen, dass manches nicht so glatt und nicht so bequem war. Und obwohl die Menschen müde und kaputt aussehen, haben sie einen wachen Blick. Da steht immer noch ein Mensch und der Blick auf ihn ist respektvoll. Er ist, und das ist wichtig, in Würde fotografiert." Das war auch das Ansinnen der Fotografin Christine Becker: "Ich hatte immer eine große Achtung vor denen, die hier gearbeitet haben. Oftmals waren die Arbeiten eintönig, aber sie mussten eben gemacht werden. Ich hätte es nicht gekonnt."
Holz möchte die Ausstellung auch als Beitrag gegen einen zunehmenden Konformismus sehen. "Unser Blick ist heute versaut von einer Flut von Bildern und es ist unerträglich, wie viele perfekte Menschen uns umgeben und wie wenig, die wirklich etwas zu erzählen haben. Vielleicht geben wir uns zu schnell mit dem Glatten und Bequemen zufrieden", sagt er. "Aber wenn wir uns nur noch über das unterhalten, was uns gefällt, lassen wir keine Entwicklung zu." Er wünsche sich für die Ausstellung "viel Gespräch, Diskussion und nicht unbedingt Zustimmung. Sie soll einen Beitrag zu einer Weltsicht sein, die eben nicht konform ist und Positionen hinterfragt."
Die Ehemaligen
Horst Kühn aus Dessau war einer, der in der Diskussion gesagt hatte: "Aber es gibt doch noch ganz andere Abteilungen. Das ist kein Querschnitt." Er hat selbst 40 Jahre in der Filmfabrik gearbeitet, ist Vorsitzender des Fördervereins Industrie- und Filmmuseum Wolfen. Die Ausstellung gefällt ihm trotzdem: "Es sind sehr gute Arbeiten, und die Fotografien haben einen historischen Wert. Der Ausdruck der Menschen zeigt, wie es war, dass die Arbeitsbedingungen im Chemiefaserbereich hart waren. Die Ausstellung regt an, auch über die Kontraste in der Fabrik zu sprechen." Und ein ehemaliger Mitarbeiter in der Datenverarbeitung erzählt: "Die Fotos sind zum Teil sehr trostlos, sie zeigen das Schmuddelige. Sicher gab es das auch. Aber wer hier gearbeitet hat, weiß ebenso, dass es auch anders aussah." Und Ingeborg Themann aus Wolfen denkt gern an ihre Zeit in der Filmfabrik zurück. "Wir waren tolle Mädels, aber wir mussten schon ordentlich ran. Wir wurden nach Leistung bezahlt. Der eine hat eine Zeit voller Stress oder Bevormundung in Erinnerung, andere wie ich haben das als nicht ganz so schlimm empfunden."
"Gesichter der Filmfabrik Wolfen - Arbeiterportäts aus den 80er Jahren" ist noch bis zum 22. Juli zu sehen.