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«Als wenn man an der Ostsee ist»

Von Bärbel Helbig 11.03.2007, 18:31

Bitterfeld/MZ. - Wieso der Steg am Pegelturm kaputt gehen konnte, kann sie zum Beispiel nicht so recht verstehen. Wie kaum jemand anders verfolgt die Bitterfelderin jede noch so kleine Veränderung an der Uferpromenade. Sie weiß genau, wo Sträucher gepflanzt oder ein neuer Zaun hingesetzt wurde. Und schaut voller Erwartungen auf das, was noch kommt: "Wenn erst das Eiscafé aufmacht...", sagt sie dann mit verschwörerischem Blick.

Sie lässt sich eben nicht gern etwas entgehen. Mit ihrer Schwester aus Delitzsch hat sie längst die attraktivsten Punkte an der Goitzsche besucht - den Pegelturm ebenso wie den Bitterfelder Bogen. Nur aus der Schiffstour ist noch nichts geworden. Die hat sie sich aber schon mit Bekannten für den Sommer vorgenommen. Bis dahin wird Hildegard Bartsch weiter alle größeren Berichte über das Geschehen an der Goitzsche aus der MZ sammeln.

So kann sie Besuchern zum Beispiel jederzeit zeigen, wie das Fahrgastschiff angekommen ist oder wie die Taucher nach den Pontons an der Pegelbrücke gesucht haben. Über anderes, was sich am Ufer der Goitzsche entwickelt hat, spricht sie mit Bewunderung, weil es mit Menschen zu tun hat, die sie seit langem kennt. In der Firma Elcom oder im Wohnmobil-Verleih von Hartmut Kuhfuss haben sich zum Beispiel ehemalige Kollegen von ihr mit Erfolg selbstständig gemacht. Und auch der Teeladen an der Promenade gefällt ihr. Die Inhaberin aus Muldenstein kenne sie gut, auch wenn ihr der Name nicht gleich einfällt. Hildegard Bartsch hat die seltene Gabe, sich uneingeschränkt über Glück und Erfolg anderer freuen zu können.

Selbst kinderlos geblieben, hat sie immer Fotos von ihren Neffen zur Hand. Der eine wohnt in Mühlbeck und sei ein sehr tüchtiger Handwerker. Und Uwe, Dachdecker von Beruf, arbeitet in Norwegen und ist mit einer Tanja aus Russland verheiratet, erzählt Hildegard Bartsch.

Am abgegriffensten sind jedoch die Fotos aus der Kinderzeit und von ihrem Elternhaus im niederschlesischen Wolfsdorf. Von dort wurde die Familie 1947 vertrieben und kam mit dem Treck nach Bitterfeld. Als älteste von drei Töchtern musste Hildegard Bartsch nach der Schulzeit schnell selbst für den Lebensunterhalt sorgen. Fünf Jahre arbeitete sie bei einem Bauern in Salzfurtkapelle und war zufrieden: "Ich hatte was zu essen und bekam noch ein bisschen Geld." Noch immer fällt es ihr schwer zu sehen, "dass die Leute soviel Brot wegschmeißen", wie sie sagt. Auch später war sie nicht auf Rosen gebettet, arbeitete als Haushaltshilfe bei einem Zahnarzt und in der Holzverarbeitung Bitterfeld. 25 Jahre lang, bis 1990, war sie im Poucher Signalgerätebau tätig und verpackte Klingeln. Morgens um 5 Uhr ging es mit dem Bus auf den Weg zur Arbeit, auf dem sie an der Goitzsche viel Schmutz gesehen hat. Nun kann sie gar nicht genug sehen von der Bitterfelder Landschaft, die sie an die Ostsee erinnert. Sie schaut, staunt und sagt: "Dass ich das noch erleben kann!"