Dem Himmel so nah Turmbläser am Sonntag in Bernburg vorerst letztmals sim Einsatz: Musik an sechs Sonntagen in Folge

Bernburg - Der Glockenschlag um punkt elf Uhr ist das Zeichen, auf das Johannes Lewek und Wilfried Häckel gewartet haben: Fenster sperrangelweit öffnen, Notenständer an die richtige Stelle rücken, tief Luft holen, Blasinstrumente an den Mund setzen und los geht’s.
Am sechsten Wochenende in Folge sind am Sonntag von mehreren Bernburger Kirchtürmen herunter Kirchenlieder erklungen. Diesmal war es aber das vorerst letzte Mal: Ab nächstem Sonntag soll es wieder „reguläre“ Gottesdienste geben.
Während Lewek und Häckel zwischen zwei Liedern eine Pause machen, sind in der Ferne Bläserklänge vom Turm der Nikolaikirche zu hören. Denn zeitgleich zur Marienkirche sind auch in den Türmen der Martins-, Bonifatius-, Nikolai- und der Alten Waldauer Kirche Bläser im Einsatz. So spannt sich ein Klangteppich über große Teile der Stadt.
Zeitgleich spielen Musiker auf den Türmen der Martins-, Bonifatius-, Nikolai- und der Waldauer Kirche
40 Meter unterhalb der alten Türmerstube der Marienkirche an der Breiten Straße bleiben derweil immer mehr Menschen stehen, schauen nach oben, lauschen – am Ende sind es sicher 30 Leute. Und sie klatschen. Nach jedem Lied trägt der Wind den Applaus bis in die Türmerstube hinauf.
Das freut auch die beiden Bläser, bekommen sie doch so direkt mit, was die Passanten von dieser Aktion halten. Während Wilfried Häckel in eine Trompete bläst, hat Johannes Lewek ein Saxophon vor sich.
„Das ist ein bisschen untypisch für so ein Blaskonzert“, sagt der Pfarrer der Talstadtgemeinde. „Aber es sind ja auch untypische Zeiten.“ In drei Himmelsrichtungen kann man durch Fenster und eine Luke von der Türmerstube aus über Bernburg gucken: Norden, Westen und Süden. Und in alle drei Richtungen blasen die beiden ihre Lieder aus dem Evangelischen Gesangbuch hinaus – jeweils vier Lieder auf jeder Seite.
In drei Himmelsrichtungen blasen Lewek und Häckel ihre Lieder vom Turm
Nach 30 Minuten ist alles vorbei. 30 Minuten, die aber mehr sind als eine normale halbe Stunde. Nämlich 30 Minuten, die eine ganz bestimmte Botschaft transportieren. „Das hier ist ja auch eine Art Gottesdienst“, sagt Johannes Lewek. „Wir wollen den Menschen sagen ,Ihr seid uns da draußen nicht egal’.“
Apropos Gottesdienst: Wie das dann genau ab kommendem Sonntag aussehen soll, weiß Pfarrer Lewek selbst noch nicht. Er geht davon aus, dass sich die Evangelische Landeskirche im Laufe der Woche zu möglichen Auflagen und Abläufen äußern wird.
Ein Sicherheitsabstand müsse aber sicher eingehalten werden. „Den Mundschutz werden sie uns aber wohl erlassen.“ Allerdings befürchtet er, dass das Singen verboten sein wird. Und ein Gottesdienst ohne Singen sei nur schwer vorstellbar.
Aber auch das werde man irgendwie schaffen. Denn Johannes Lewek, der als Notfallseelsorger schon bei Katastrophen wie dem Saalehochwasser 2013, dem verheerenden Hagelgewitter 2011 und dem schweren Busunglück mit 13 Toten bei Könnern im Jahr 2007 im Einsatz war, hat auch festgestellt:
„Die meisten Menschen sind gute Krisenbewältiger.“ Das zeige sich auch in der Corona-Krise, die eine ganz neue Qualität habe. Denn normalerweise würden soziale Kontakte zur Bewältigung von Krisen helfen. „Aber solche Kontakte sind ja genau das, was Menschen seit Wochen nicht haben dürfen.“
„Die meisten Menschen sind gute Krisenbewältiger“, sagt Pfarrer Lewek
Das Turmblasen ist eine Art, damit umzugehen. Lewek ist zuversichtlich, dass man etwas von dieser positiven Stimmung auch in die Zeit nach Corona hinüberretten kann: „Davon bleibt bestimmt was zurück.“ (mz)
