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Suchtberatung: Der lange Weg zurück Suchtberatung: Der lange Weg zurück: Abhängige Frauen fallen längere Zeit nicht auf

Von Marko Jeschor 07.07.2017, 09:55
Die Suchtberater Annett Völzke und Markus Reiß versuchen, ihren Klienten neue Perspektiven aufzuzeigen.
Die Suchtberater Annett Völzke und Markus Reiß versuchen, ihren Klienten neue Perspektiven aufzuzeigen. Pülicher

Bernburg - Man könnte lachen, wenn es nicht so ernst wäre: Ein 30-jähriger Bernburger, seit Jahren zumeist auf Drogen, ein Kleinkrimineller mit Schulden, ohne Ausbildung oder gar festen Wohnsitz, saß kürzlich in der Beratungsstelle bei Annett Völzke und Markus Reiß und sprach über seine Perspektiven.

Auf den Boden der Tatsache zurückholen

Er wolle Ingenieur werden, weil man damit viel Geld verdiene, erklärte er also.

„Diesen Klienten mussten wir zunächst auf den Boden der Tatsachen holen“, sagt Völzke. Und ihm dann erklären, unter welchen Voraussetzungen der 30-Jährige überhaupt in das Leben gelangt, das andere als normal bezeichnen würden.

Dieser Weg beginnt bei der Entziehung und endet nicht beim Nachholen des Schulabschlusses. Das Problem: „Oft haben die Abhängigen nicht die Disziplin und Ausdauer für einen solch langen Weg.“ Häufig fehle auch ein Motiv für eine Veränderungen.

Zugegeben, es ist ein drastisches Beispiel. Es gibt aber einen kleinen Einblick in die tägliche Arbeit der beiden Bernburger Suchtberater vom Diakonischen Werk Bethanien, die sich im Vergleich zu anderen Suchtberatungsstellen im Landkreis häufiger mit derlei Fällen beschäftigen müssen.

Viele Hilfesuchende  nehmen die ganz harten Drogen

Bei 196 neuen Hilfesuchenden im vergangenen Jahr kamen laut dem aktuellen Jahresbericht jedenfalls mehr als die Hälfte, weil sie abhängig sind von Cannabis, Crystal Meth oder Heroin, zum Teil also den ganz harten Drogen.

Völzke sieht die Nähe zu den Fachkliniken in Bernburg und auch dem Maßregelvollzug als möglichen Grund. „Der ein oder andere bleibt nach seiner Therapie hier und wird dann von uns betreut“, sagt die 42-Jährige, die sich seit dem Jahr 2.000 um Suchtkranke kümmert.

Die Zahlen sind seit Jahren konstant

Insgesamt waren 2016 über 400 Hilfesuchende wegen eines Suchtproblems in der Beratungsstelle Allstedter Kirchhof 10, viele waren alleinlebend, die mit Abstand meisten Männer.

Oft erschienen sie auch nicht freiwillig, vielmehr seien sie geschickt worden, das heißt: Bei Alkoholproblemen drängte etwa der Ehepartner darauf, der Arbeitgeber oder die Straßenverkehrsbehörde.

In vielen Fällen gab es aber eben auch eine entsprechende Bewährungsauflage des Amts- oder Landgerichts. Auffällig auch: Es waren ebenso viele Arbeitslose wie Menschen mit einem festen Job.

Die Zahlen sind seit Jahren konstant, allerdings auch nur, weil personell nicht mehr möglich ist, wie Völzke erklärt. Auf erste Beratungstermine müsse man durchschnittlich zwei bis vier Wochen warten.

Crystal Meth - die schwierigen Fälle

Gerade die Menschen, die nicht mehr vom Crystal Meth loskommen, stellten für Völzke und Reiß im Vergleich etwa zu Alkoholabhängigen wie in den Jahren zuvor die schwierigeren Fälle dar, weil sie oft früh begonnen haben, deshalb keinen Schulabschluss, keine Ausbildung und deswegen auch keinen Job haben.

Daran geknüpft wiederum sind zumeist Kriminalität und Schulden. Hinzu kommen psychische Störungen, denn Crystal Meth greift nachhaltig die Gehirnstrukturen an.

„Die schleppen ein richtiges Paket mit sich herum“, sagt Reiß, der seit 2012 in Bernburg Drogenabhängigen hilft. Bei denen müsse man quasi bei Null anfangen.

Droge besitzt ein hohes Suchtpotenzial

Crystal Meth ist auch deshalb so gefährlich, weil es ein hohes Suchtpotenzial besitzt, auch wenn es anders als gemeinhin bekannt nicht beim ersten Mal abhängig macht, wie der Suchtberater erklärt.

Und: Viele haben damit ein Mittel gefunden, das den Alltag erträglicher macht. Die synthetisch hergestellte Droge wird von den Konsumenten nicht selten in Kombination mit anderen Rauschmitteln genutzt.

Das Problem ist dabei, dass wie bei jeder Droge die Toleranz beim Konsumenten wächst und damit zwangsläufig der Konsum. „Irgendwann bekommt man seine Gefühle nur noch in den Griff, wenn man sich etwas einwirft.“

Gesellschaftliche Akzeptanz

Vergleichsweise unkomplizierter, aber deswegen nicht weniger bewegend ist die Arbeit der Suchtberater mit Alkoholabhängigen, denen die beiden entweder in Einzel- oder in Gruppengesprächen helfen.

Sie kommen ähnlich wie die Abhängigen der illegalen Drogen meist erst nach Jahren des „straffen Konsums“, wie Reiß sagt. Wobei der typische in der Suchtberatungsstelle erscheinende Alkoholiker männlich, deutlich über 40 Jahre alt ist, zumindest mal gearbeitet hat und auch Familie besitzt, wenngleich die Verhältnisse oft schon zerrüttet sind.

Frauen fallen längere Zeit nicht auf  - sie sind geschickter

Der Durchschnitt bedeutet allerdings nicht, dass Frauen nicht ebenso abhängig sind. „Sie sind dabei nur geschickter und fallen längere Zeit nicht auf.“ Außerdem finden sie auch seltener den Weg in die Beratungsstelle.

Allen, ob Mann oder Frau, liegt aber - unabhängig ihrer eigenen Konstitution und dem Umfeld - das gleiche Problem zugrunde: die gesellschaftliche Akzeptanz von Alkohol, der faktisch immer und überall zu haben ist und der auch deswegen für viele Menschen gewohnheitsmäßig dazu gehört. „Wer viel verträgt, wird höchstens ausgelacht.“

Dass dahinter ein Problem stecken könne, werde vielfach nicht thematisiert. Das machen dann Völzke und Reiß in ihrer Beratungsstelle, wobei sie betonen, dass sie oft auch Erfolge sehen.

Dann nämlich, wenn Hilfesuchende nicht nur die Sucht überwunden haben, sondern ihr Leben mit eigener Wohnung, festem Job, einem Führerschein und auch überstandenem Insolvenzverfahren in den Griff bekommen haben und davon auch in den Gruppengesprächen anderen berichten.

Telefonisch erreichbar sind die Suchtberater unter 03471/35 20 38. (mz)