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Stadtgeschichte Stadtgeschichte: Zum Tanz in den «Klub»

Von susanne schlaikier 11.09.2012, 20:29

bernburg/MZ. - Zeitreise in die 60er: Die "Palomas" spielen live im Klubhaus der Bauschaffenden. Wer die Augen schließt, kann sie vielleicht hören, die Musik der Palomas und der anderen Bands jener Zeit. "Kommen Sie ruhig herein zum Tanzen!", fordert Joachim Grossert die rund 80 Wartenden am Fähranleger auf, in das Lokal "einzutreten". Wobei es schon einiger Fantasie bedarf, sich an dieser Stelle eine Gaststätte mit Tanzfläche vorzustellen. Denn von dem einstigen Lokal an der Saale ist seit einem Brand vor vier Jahren nichts mehr übrig.

Dennoch erinnern sich viele Teilnehmer der sechsten Straßenführung von Joachim Grossert an die Tanzveranstaltungen, die hier in den 60er, 70er und 80er Jahren regelmäßig am Mittwoch und Samstag stattfanden. Es waren Zeiten, in denen auch die Bernburger Musikszene boomte. In seiner gewohnt launigen Art führt Grossert vom Verein für Anhaltische Landeskunde die geschichtsinteressierten Bernburger durch die Straßen. Vom Fähranleger geht es über die Töpferwiese und auf das Gelände der Stiftung Evangelische Jugendhilfe St. Johannis.

Über die Rosenstraße führt der Weg zur Bornstraße und der alten Fürstlichen Töpferwarenfabrik, die zu DDR-Zeiten als Turnhalle von der Berufsschule genutzt wurde. Grossert selbst gehörte nicht zu jenen, die hier das Tanzbein schwangen. "Ich war ein schlechter Tänzer", erzählt er. Dafür habe er sich aber sagen lassen, "dass man hier prima knutschen konnte". Schon bevor das Haus der Bauschaffenden zum Kult-Tanzschuppen avancierte, gab es an gleicher Stelle einen Vorgängerbau, die Gaststätte "Zum Stadtpark". Diese wurde 1962 umgebaut und war fortan ein beliebter Treffpunkt für die Bernburger. Umso tragischer ist sein Ende.

Zweimal ist nach der Wende versucht worden, das Lokal wiederzubeleben, zuletzt unter dem Namen "Dance Club Liberty" in den Jahren von 1998 bis 2000. Doch beide Versuche scheiterten und so stand das Haus jahrelang leer. Zuletzt war es nur noch ein Schandfleck: Die Scheiben waren eingeschmissen, die Wände besprüht und überall wucherte das Unkraut. Durch den Brand, der vermutlich vorsätzlich gelegt wurde, haben sich, so zynisch das klingt, einige Probleme gelöst...

Doch diese Seite von Bernburg hat geschichtlich weit mehr zu bieten, als den "Klub", wie er von den Insidern genannt wurde. Mit Saale, Schloss und dem vielen Grün sei es überhaupt der attraktivste Zugang zu Bernburg, findet Grossert. Und das war schon in der Vergangenheit so. Grossert bezeichnet diesen Teil Bernburgs gar als erstes "Gewerbegebiet". "Damals war hier richtig was los", sagt der Stadtführer.

Da gab es die Saalemühle, die bis 1990 in Betrieb war, einen Wasserturm seit dem frühen 17. Jahrhundert, eine Papier- und eine Zuckerfabrik und die Herzogliche Eisengießerei. Und es gab seit 1794 die Fürstliche Tonwarenfabrik, der die Töpferwiese ihren Namen verdankt. Denn auf dieser Wiese, die damals noch wesentlich flacher war, habe man die Tonwaren getrocknet, erzählt Grossert. Zudem habe es auf dem Gelände neben der Stiftung Evangelische Jugendhilfe die Spirituosenfabrik von Otto Jannasch und die Konservensalzfabrik von Hugo Jannasch gegeben. Von Ersterer steht bis heute eine Gebäude, doch es steht schon lange leer und verfällt zusehends. Längst gibt es Pläne, das Haus abzureißen.

"Wenn ein solches Haus abgerissen wird, verliert Bernburg ein Stück Gesicht", meint Grossert. Aber die "Metamorphose" des Gebietes begann schon wesentlich früher: Ende des 19. Jahrhunderts waren viele der genannten Fabriken im Konkurs, die ersten Freizeiteinrichtungen, wie Badeanstalten und Bootsverleih, wurden gebaut. Anfang der 1930er Jahre wurde mit dem Schleusenausbau für die Binnenschifffahrt begonnen, die dabei anfallenden Erdmassen im Rosenhag und auf der Töpferwiese verteilt. Auf jenem repräsentativen Platz, erzählt Grossert, sei in den Nazi-Zeit auch ein zehn Meter hohes Mahnmal errichtet worden, das nur sieben Jahre lang dort stand.

Von der Töpferwiese führt der Weg auf das Stiftungsgelände, wo heute junge Menschen in der Förderschule unterrichtet werden, die an anderen Schulen gescheitert sind. Gegründet wurde die Stiftung 1863 von Pfarrer Karl Wilhelm Gottlieb Bastian, damals als "Johannisasyl" für entlassene weibliche Strafgefangene. Zu DDR-Zeiten war es eine Einrichtung für schwer erziehbare Kinder, mit Jugendwerkhöfen wie Torgau aber nicht vergleichbar, so Grossert. Denn der Bernburger Leiter Albert Elster galt als guter Pädagoge und nicht als militanter Erzieher.

Nach einem Abstecher zum Gelände der alten Schäferei, die 1888 abgerissen wurde und auf der heute Wohnhäuser stehen, und der alten Berufsschule in der Rosenstraße endet die Führung an der besagten ehemaligen Turnhalle der Berufsschule, die aber längst nicht mehr benutzt wird, sondern ebenfalls immer mehr verfällt und wohl nicht mehr gerettet werden kann.