1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Bernburg
  6. >
  7. Jubiläum: Jubiläum: Festtafel im "Weißen Schwan"

Jubiläum Jubiläum: Festtafel im "Weißen Schwan"

14.08.2015, 17:06
Im August 2008 wurde die Bodebrücke bei Nienburg komplett saniert.
Im August 2008 wurde die Bodebrücke bei Nienburg komplett saniert. rainer dill Lizenz

Bernburg/Nienburg - Genau heute vor 125 Jahren, am 15. August 1890, ist die erste Eisenbahn auf der neuen Strecke von Calbe über Nienburg nach Bernburg gefahren.

Rainer Dill befasst sich schon seit dem Jahr 1975 mit der Eisenbahn-Geschichte seiner Heimat. Zunächst im Raum Wolmirstedt, wo er als Bergbau-Sachverständiger im Kaliwerk Zielitz arbeitete. Seit seinem arbeitsbedingten Umzug nach Bernburg im Jahr 1982 wohnt der 72-Jährige in der Saalestadt, seit 1995 befasst er sich auch mit der Entwicklung der Bahn in der Region. Der Chronist und Fotograf hat seine Recherchen im Buch „Eisenbahnen in Bernburg und Umgebung“ niedergeschrieben, das demnächst im Verlag Bernd Neddermeyer erscheinen soll.

Die Strecke wurde nur bis zum heutigen Bahnhof Calbe-West durchgeführt. Dieser bestand bereits seit 1879 an der Hauptbahn Berlin-Wetzlar, im Volksmund als „Kanonenbahn“ bekannt. Von hier wurde 1882 ein Gleis zum Bahnhof Grizehne, heute Calbe-Ost, gebaut und in Betrieb genommen. Damit war die Verbindung zur Strecke Magdeburg-Leipzig hergestellt.
Die weitere wirtschaftliche Entwicklung wurde im Wesentlichen durch die beiden Städte Nienburg und Calbe geprägt. Erst ab 1962 erhöhte sich das Transportaufkommen auf der Strecke durch das neue Zementwerk in Bernburg, das heute den einzigen verbliebenen Gleisanschluss entlang der Bahnlinie besitzt.

Zementindustrie dominiert

In Nienburg gab es indes vor 1900 eine Zuckerfabrik, weiterhin waren unter anderem Maschinenfabriken und eine Eisengießerei sowie Kalksteinbrüche etabliert, ebenso eine Papiersackfabrik. Alle genannten Werke besaßen bis zu ihrer Produktionseinstellung um 1990 einen Gleisanschluss zum Bahnhof. Die Zementindustrie entwickelte sich später, war aber bis zur politischen Wende 1989 der dominierende Industriefaktor für die Stadt.
In Calbe waren bis in die 1960er Jahre der Braunkohlenbergbau, die Landwirtschaft und der in der Umgebung betriebene Gemüseanbau für die Eisenbahn die wichtigsten Kunden. Nach 1950 wurde hier das erste und einzige Niederschaft-ofenwerk der Welt errichtet, das erzarme Rohstoffe (überwiegend aus dem Harz) und Braunkohlen-Hochtemperaturkoks verhüttete. Aus Rentabilitätsgründen erfolgte 1970 die Schließung des Betriebes, auf dessen Territorium danach das Metall-Leichtbaukombinat entstand. Nicht unerwähnt bleiben darf die ehemalige Braunkohlengrube Alfred nördlich der Stadt. Sie hatte ab etwa 1900 zunehmend mit Absatzproblemen zu kämpfen und wurde 1915 endgültig stillgelegt. Die dazugehörende Brikettfabrik nahe des Abzweigs Tornitz hatte schon 1904 die Produktion eingestellt. Auf dem Gelände entstand eine chemische Fabrik, die nach 1945 als Gelatinewerk bekannt wurde.
Zwischen Nienburg und Calbe existierten noch zwei weitere Anschlussstellen: der Abzweig zum Saalespeicher, der noch bis Anfang der 1990er Jahre betrieben wurde, und in Damaschkeplan. Letzterer entstand, als der Calbenser Landwirt Otto Bartels um 1884/85 etwa 3,5 Kilometer südlich von Calbe ein neues Gut mit schlossähnlichem Haus und großem Park errichtete. Eine Verladung landwirtschaftlicher Produkte gab es nach dem Zweiten Weltkrieg hier jedoch nicht mehr. An dieser Anschlussstelle befand sich noch eine Verladestelle für einen schon kurz nach 1900 existierenden Steinbruch, der sich etwa 1,5 Kilometer westlich der Bahnlinie zwischen dem Fuchs- und dem Baalberg erstreckte. Die Bahnstation Damaschkeplan bestand noch bis Anfang der 1960er Jahre.

Einstieg nur für Arbeiter

Geheime Fahrpläne für JunkerswerkBereits 1936 begannen für den Aufbau des Fliegerhorstes in der Gemarkung Strenzfeld die Vorarbeiten für die Herstellung eines Privatgleisanschlusses. Ein Jahr darauf wurden diese Gleisanlagen für das im Aufbau befindliche Junkers-werk erweitert. 1941 folgte die Aufnahme des Personenverkehrs von Bernburg. Die Fahrpläne für diese Züge wurden nicht bekannt gemacht, der Einstieg blieb den Arbeitern des Junkerswerkes vorbehalten. Nur für sie wurde der Haltepunkt Waldau eingerichtet, Reisezüge von und nach Calbe durften hier nicht stoppen. Der Betrieb auf dieser Strecke wurde 1945 eingestellt, die Gleisanlagen demontiert und der Haltepunkt Waldau geschlossen. Erst 1952 eröffnete ihn die Reichsbahn erneut, der Haltepunkt Strenzfeld war schon 1949 wieder in Betrieb gegangen.

Die Bodebrücke Nienburg wurde seit ihrem Bau mehrfach umgebaut und verstärkt. Die letzte Grundinstandsetzung mit einer kompletten Gleiserneuerung erfolgte im Sommer 2008. Anschließend wurden auch die Gleise auf der Strecke erneuert, so dass Züge hier jetzt eine Höchstgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometer fahren können.

Bahnhöfe 2008 zurückgebaut

Vor etwa zehn Jahren kamen erste Gerüchte auf, dass die Deutsche Bahn AG den Personenverkehr auf der Bahnlinie zwischen Bernburg und Calbe einstellen will. Doch der damalige Verkehrsminister in Sachsen-Anhalt, Karlheinz Daehre, machte sich stark für den Erhalt dieser Verbindung. Im Zuge der Sanierungsarbeiten 2008 gab es drastische Rückbaumaßnahmen in den Bahnhöfen Nienburg, Calbe-West und Calbe-Ost. Im Dezember 2013 wurden jahrelange Versprechen Realität: Seitdem fahren wochentags die Züge von Bernburg bis zur Landeshauptstadt Magdeburg durch. Die Deutsche Bahn setzte ein Jahr später noch einen drauf: In Calbe nahe der Salzer Straße entstand ein mobiler Haltepunkt, der am 22. Dezember 2014 in Betrieb genommen wurde.

Ohne Mühe auf Tempo 120

Zum Reiseverkehr soll nur über die Zeit von 1950 bis zur Gegenwart kurz berichtet werden. Jahrzehntelang, bis Anfang der 1990er Jahre, fuhr in den frühen Morgenstunden ein Doppelzug ab Bernburg, der in Nienburg getrennt wurde. Die erste Zughälfte rollte weiter nach Calbe-Ost, die zweite ohne Packwagen zurück nach Bernburg, in manchen Fahrplanabschnitten weiter bis Könnern. Auch Triebwagen verkehrten ab 1981 auf dieser Strecke. Die zweiachsigen roten Triebwagen hießen im Volksmund „Ferkeltaxen“. Inzwischen fahren nur noch Triebwagen. Die modernen Fahrzeuge mit dem Namen „Desiro“, seit zwei Jahren im Einsatz, können mühelos Tempo 120 erreichen.

Ein unbekannter Käufer hat im Juni 2015 das Bahnhofsgebäude in Nienburg für 2000 Euro von der Deutschen Bahn ersteigert.
Ein unbekannter Käufer hat im Juni 2015 das Bahnhofsgebäude in Nienburg für 2000 Euro von der Deutschen Bahn ersteigert.
pülicher Lizenz
Eine alte Postkarte zeigt den Nienburger Bahnhof kurz nach seiner Eröffnung im Jahr 1894.
Eine alte Postkarte zeigt den Nienburger Bahnhof kurz nach seiner Eröffnung im Jahr 1894.
rainer dill Lizenz