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Zeitzeugenreihe Günter Simon schildert Erlebnisse vom April 1945 in Bernburg

Waggonpuffer kracht durchs Dach und eine Straße weiter ist ein Krater. Warum Luftangriffe für ihn nichts Neues waren.

Von Sebastian Möbius 26.04.2022, 14:07
Noch heute wohnt Günter Simon in dem Haus seiner Großmutter. Täglich liest der 91-Jährige ausgiebig die Mitteldeutsche Zeitung.
Noch heute wohnt Günter Simon in dem Haus seiner Großmutter. Täglich liest der 91-Jährige ausgiebig die Mitteldeutsche Zeitung. Fotos: Engelbert Pülicher

Bernburg/MZ - Als am späten Vormittag des 11. April 1945 die ersten Bomben rund um den Bernburger Bahnhof einschlagen, weiß Günter Simon sofort, was zu tun ist. Der 14-Jährige hüpft aus seinem Bett, zieht sich flink an und läuft in den Keller des Hauses an der unteren Steinstraße, um Schutz zu suchen. „Meine Mutter wollte eigentlich zum Bahnhof, um Fahrkarten nach Berlin zu kaufen. In der Eingangstür hat sie dann die Druckwelle der Bombe erwischt und zurück ins Haus geschleudert“, schildert der heute 91 Jahre alte Mann.

Bombardierung in Berlin erlebt

Bombeneinschläge waren für den damaligen Jugendlichen nichts Neues. Der gebürtige Berliner hat am 3. Februar 1945 die Luftangriffe auf die Hauptstadt hautnah miterlebt. „Wenn eine Stadt wie Berlin bombardiert wird, ist es noch einmal eine ganz andere Dimension“, sagt Günter Simon. Seine Familie floh sechs Tage später schließlich zur Großmutter nach Bernburg, wo am 11. April 1945 erneut feindliche Flugzeuge am Himmel auftauchten.

„Nachdem der Angriff vorbei war, bin ich aus dem Keller nach oben gelaufen und auf die Straße hinaus“, berichtet Günter Simon. An der Bahnhofsstraße angekommen, traute er seinen Augen kaum. Die komplette Straße war zerstört und die Gartenhäuser in der angrenzenden Sparte auch schwer in Mitleidenschaft gezogen. „Sehr überrascht war ich von dem Krater, der sich vor mir auftat. Direkt in der Bahnhofsstraße hatte eine Bombe eingeschlagen“, erzählt der 91-Jährige. Der Krater sei knapp drei Meter tief gewesen. Noch heute sind an der Mauer, die das Polizeirevier umgibt, Splittereinschläge von der Bombe zu sehen.

Beim Diebstahl erwischt

Das Haus der Großmutter an der Steinstraße blieb auch nicht ganz ohne Schäden. „Als wir im Keller saßen, gab es einen dumpfen Schlag. Ich dachte erst, es wäre ein Blindgänger oder eine Brandbombe“, so der gelernte Bergmann. Es stellte sich später am Tag heraus, dass es sich um den Teil eines Puffers handelte, der von einem Zugwaggon weggesprengt wurde und durch den Dachstuhl schlug.

In den letzten Tagen des Krieges und nach den Luftangriffen war es zunehmend schwieriger, an genug Nahrung zu kommen, berichtet Günter Simon: „Ich habe dann, wie viele andere Bernburger auch, angefangen zu räubern. Ich wollte meine Mutter und mich so gut es ging versorgen.“ Einmal wurde er dabei ertappt. „Das war zur Zeit der amerikanischen Besatzung in Bernburg. Ich wollte Mehl aus der Franzkaserne mitgehen lassen, wurde jedoch von einem Amerikaner entwischt und musste beim Kommandanten vorstellig werden.“ Im Austausch für einen Gefallen, er sollte ihm einen Handwerker vermitteln, durfte der damals 14-Jährige wieder gehen.

Nach dem Krieg arbeitete Günter Simon bis zur Wende 1990 als Bergmann. Unter anderem bei Wismut in Johanngeorgenstadt (Sachsen). Dort baute er Uran ab. Anschließend arbeitete er im Bernburger Steinsalzwerk am Außenstandort Gröna. „Mit diesem Job habe ich gut für mich und meine Mutter sorgen können. Wir hatten immer genug zu essen.“

An der Mauer des Polizeireviers an der Bahnhofsstraße sind noch heute die Einschläge der Bombensplitter sichtbar.
An der Mauer des Polizeireviers an der Bahnhofsstraße sind noch heute die Einschläge der Bombensplitter sichtbar.
Engelbert Pülicher