Gelegenheiten pragmatisch beim Schopf gepackt
BERNBURG/MZ. - Ulrike Feyler sitzt entspannt zurück gelehnt auf einem Stuhl in ihrem Büro und spricht mit ruhigen, wohl gewählten Worten. Der Stress der vergangenen Tage scheint spurlos an ihr vorbei gegangen. Zumindest äußerlich. Dabei hat die 65-Jährige ein wahres Mammut-Programm hinter sich: Am Montag hat Ulrike Feyler ihren 65. Geburtstag gefeiert und sich gleichzeitig mit einer Festveranstaltung in ihrer Funktion als Ärztliche Direktorin im Salus-Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie verabschiedet. "Das war schon ein umfangreiches Programm", blickt sie auf die Feier mit Gratulanten, Fachvortrag und einem Büfett zurück.
Nur zwei freie Tage hat sich die gebürtige Zwickauerin, die 1974 nach Bernburg kam, danach gegönnt, dann saß sie wieder an ihrem Schreibtisch. Denn obwohl der Tag des endgültigen Abschieds Mitte August - bis dahin will sie ihren Nachfolger eingearbeitet haben - immer näher rückt, hat sie noch einiges zu tun.
Wenn sie auf ihren Lebenslauf zurückblickt, so fällt ihr vor allem eines ein: "Lauter Zufälle". "Das begann schon damit, dass ich eigentlich Ökonomie oder etwas anderes, richtig Strukturiertes studieren wollte", sagt Ulrike Feyler. Auch ein Jura-Studium hätte sie sich vorstellen können. Doch an der ABF (Arbeiter und Bauernfakultät der DDR) in Halle, an die sie zur Vorbereitung auf ein Auslandsstudium delegiert wurde, sei nur ein Platz in der Medizinerklasse frei gewesen. "Also habe ich den genommen", sagt sie pragmatisch. Im Ausland hätte sie dann jedoch nur Zahnmedizin studieren können, und obwohl sie "etwas Handfestes" anstrebte, konnte sie sich Zahnmedizin nicht vorstellen.
Sie begann ein Medizinstudium in Leipzig. Wohl auch inspiriert von ihrer zehn Jahre älteren Schwester, die auch Medizin studierte. Und noch immer hatte sie fest vor, etwas "Handfestes", wie Chirurgie, Gynäkologie oder Orthopädie zu studieren. Aber, wie es das Schicksal oder der Zufall so wollte, kam sie während einer Famulatur (ein vorgeschriebenes Praktikum, d. Red.) 1967 ins Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie nach Stadtroda, wo sie ihren späteren Mann kennen lernte. Ihre Facharztausbildung begann sie später mit dem Ziel, sich auf die Neurologie zu konzentrieren, aber sie hätte sich nicht vorstellen können, in Stadtroda zu bleiben. "Wir haben uns dann an verschiedenen Orten beworben", blickt sie zurück. Ihr Mann, ein Spezialist für Gerontopsychiatrie (Alterspsychiatrie, d. Red.), bekam 1974 eine Stelle als Chefarzt im damaligen Bezirkskrankenhauses für Psychiatrie in Bernburg. "Für mich war jedoch keine Stelle frei", sagt sie.
Doch die damals frisch gebackenen Eltern eines Sohns wollten natürlich als Familie, Tochter Sylvia gehörte auch schon dazu, zusammen leben. Es hat sich ein Weg gefunden und sie hat ihre Facharztausbildung abschließen können, sagt die Medizinerin. Wie schon ihr Laudator Volker Thesing, der früherer Salus-Geschäftsführer sagte: "Sie hatte nie ein Problem, das nahe liegende zu tun und die sich bietenden Chancen zu nutzen."
Es fügte sich auch in Bernburg alles und so wurde sie schließlich Ende der 1970er Jahre Oberärztin für Neurologie. Ebenfalls mehr oder weniger zufällig kam sie schließlich in die Suchtmedizin, die später ihre Spezialstrecke wurde. "Die Chefarzt-Stelle war 1986 vakant und ich wurde gefragt, ob ich das machen will", erzählt die scheidende Ärztin. Zwar hat sie sich anfangs nicht vorstellen können, dass daraus eine Lebensaufgabe erwachsen würde, doch bereut hat sie den Schritt nie. Besondere Verdienste hat sie sich bei der Neuprofilierung des Psychiatrie-Standortes Bernburg nach der Wende erworben, sagte Thesing.
Auch bei der Modernisierung der Therapien in der Suchtmedizin sowie beim Aufbau des Maßregelvollzugs für suchtkranke Straftäter habe sie großen Anteil. Thesing war es auch, der ihr 2001 nahe legte, die Funktion als Ärztliche Direktorin zu übernehmen. Das bedeutete zwar mehr organisatorischen und strategischen Aufwand, mehr Bürokratie und weniger direkten Kontakt zu den Patienten, aber auch diese Aufgaben bewältigte Ulrike Feyler. "Ich musste quasi dafür sorgen, dass der Laden läuft", fasst sie zusammen. Dennoch ließ sie es sich auch in dieser Position nicht nehmen, so viel wie möglich Gutachten ihrer Kollegen zu lesen. Denn das sei ja schließlich mit viel Verantwortung verbunden. Und natürlich habe sie auch noch Visiten bei Patienten durchgeführt.
Trotz des medizinischen Fortschritts - den verbesserten psychotherapeutischen Verfahren, der verbesserten Diagnostik und Medikation - beobachtet sie heute zunehmend jüngere Alkoholiker mit schweren Folgeschäden. Die meisten haben keine Arbeit. Zu DDR-Zeiten seien die Patienten schneller zur Behandlung gekommen. "Sie waren in den Betrieben integriert", sagt Feyler. Auch habe es in der DDR keine Drogenabhängigen gegeben. "Diesen Bereich haben wir nach der Wende ziemlich schnell aufgebaut." Bernburg sei da sogar Vorreiter in den neuen Bundesländern gewesen.
All das ist (beinahe) Vergangenheit, die ersten Kartons sind schon gepackt. Denn in rund zehn Jahren in dieser Position komme schließlich einiges zusammen, erzählt Ulrike Feyler mit einem Schmunzeln, aber auch mit etwas Wehmut. Auf der einen Seite freue sie sich, künftig mehr Zeit für andere Dinge zu haben. Anderes werde sie vermissen. "Man ist ja hier schon auch verwurzelt." Die Arbeit hat ihr Spaß gemacht, auch die Zusammenarbeit mit den Kollegen.
Mehr Zeit wird sie fürs Tanzen haben - eine Leidenschaft, die sie und ihr Mann Klaus-Peter nach der Wende entdeckte. Sie wollen sich körperlich und geistig fit halten, auch wenn sie sich den Traum von eigenen Pferden wohl nicht erfüllen werden. Aber das Ehepaar geht regelmäßig ins Fitness-Studio und zum Schwimmen. Auch kulturell sind beide sehr interessiert. Theater, Konzerte, Ausstellungen - Ulrike Feyler fällt da so einiges ein. "Und wir sind quasi Stammgäste im Gewandhaus in Leipzig." Außerdem ist jetzt endlich genug Zeit zum Reisen. Als nächste Ziele stehen Reisen nach Kroatien und in die Schweiz auf dem Programm sowie eine Kreuzfahrt nach Südamerika im kommenden Jahr. Außerdem hat sich das Ehepaar vorgenommen, die beiden Kinder öfter zu besuchen. Die leben in England.