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Flucht nach vorn in die Welt der Wolle

Von Kathrin Steinmetz 01.11.2006, 18:14

Bernburg/MZ. - Seit drei Jahren verbirgt sich hinter einem grünen Tor in Waldau die kuschel-weich bis kratzend-rustikale Wollwelt der Bernburgerin: die Spinnstube. Werkstatt für eine Frau, die gar nicht anders kann, als bis zum späten Abend hinter Spinnrad oder Webstuhl zu sitzen und Filzstoffe hunderte Male zu rollen. Und die ohne Stricknadel und Wollknäuel kaum noch das Haus verlässt.

Jeder, der um Einlass bittet, wird am Eingang der ehemaligen Getreidemühle lautstark von Uschi, der Mischlingshündin, gemeldet. Aber gleich danach wird es urgemütlich. Überall hat die 47-Jährige Steinzeug aufgestellt, in denen Rainfarn zum Färben trocknet. Lampen aus Filz verraten Ute Kirsteins Steckenpferd. "Filzen ist dick im Trend zur Zeit, aber das Material ist auch so toll." Wer bei ihr Kurse bucht, bekommt mit dem Fachwissen auch gleich eine "Litanei", wie sie es nennt, an Inspirationen. Kleidung, Taschen, Hüllen für Stuhlkissen und Teelichter, Eierwärmer - die lustige Handwerkerin hat Geschenkideen parat, die nicht von der Stange kommen. "Jedes Stück Filz ist ein Unikat. Man kann damit sogar Bilder gestalten."

Tatsächlich verschönert ein Filzvorhang mit dem Motiv der Himmelscheibe von Nebra einen Treppenaufgang, Mohnblüten wachsen an der Wand über der urigen Sitzecke. Selbst Ketten und Ohrringe fitzelt Ute Kirstein aus dem zusammen, was anfangs in Weidenkörben als grobe Wollfetzen lagert.

Ursprünglich arbeitete sie als Lehrerin für Russisch und Englisch. Dann habe die Gesundheit nicht mehr mitgespielt. "Ich stricke schon mein halbes Leben, und als ich dann auch noch das Spinnen für mich entdeckt habe, dachte ich: Jetzt trittst du die Flucht nach vorn an." Heute bietet Ute Kirstein Kurse jeder Größe und Dauer an. "Egal ob Laien oder Könner, Kinder oder ältere Leute; bei mir ist jeder willkommen." Und während der Tee durchzieht, gesteht sie, dass "dies alles hier", der Schritt in die Selbständigkeit, die richtige Entscheidung war. Denn in der Werkstatt schreibt ihr niemand den Tagesablauf vor, und sie könne ihre Ideen genau so in das Naturmaterial filzen, weben oder stricken, wie es ihr passe.

Übrigens hat Ute Kirstein auch einen Faible, oder, wie sie es nennt, eine kleine Spinnerei: 23 Spinnräder im Miniformat. Vielleicht komme sie damit ja mal in Guinness-Buch der Rekorde. "Ein bisschen Spinnen muss ja mal erlaubt sein."