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Erik van de Merwes ehrgeizige Sammelleidenschaft  Erik van de Merwes ehrgeizige Sammelleidenschaft : 75.000 Fingerhüte in Biendorf

Von Susanne Thon 25.07.2015, 15:44
Fingerhüte bis zur Decke: Auf 75 000 bringt es Erik van de Merwe. Zu sehen sind sie in seinem Museum in Biendorf. Seine Frau Gonnie führt durch die Ausstellung.
Fingerhüte bis zur Decke: Auf 75 000 bringt es Erik van de Merwe. Zu sehen sind sie in seinem Museum in Biendorf. Seine Frau Gonnie führt durch die Ausstellung. Andreas Stedtler Lizenz

Ja, das Museum ist sein Spielzimmer. Ein übergroßes Spielzimmer. 600 Quadratmeter, verteilt auf mehrere Räume. Hier hütet Erik van de Merwe alles, was ihm lieb und teuer ist.

Und hierhin zieht er sich zurück, wenn es ihm nach einer 60-Stunden-Woche nach Entspannung dürstet. All die Verpflichtungen, denen er sonst als Bankier nachkommt, sind dann weit weg. Denn hier, in seinem spätbarocken Schloss in Biendorf bei Bernburg, inmitten seiner Schätze, ist es einzig und allein das Kind, das im Anzugmanne durchbricht; erhellt ein jungenhaftes Grinsen sein Gesicht und die blauen Augen leuchten. „Zu sammeln“, sagt der 64-Jährige, „ist für mich der pure Ausgleich.“

Kein normaler Sammler

Van de Merwe ist aber kein normaler Sammler. Denn er sammelt eigentlich alles. Außer Briefmarken und Münzen. Und zwar in Dimensionen, die die Vorstellungskraft sprengen. Rund 300.000 Exponate beherbergt sein privates Museum, das 2012 eingeweiht wurde, und das der Hausherr, der die Woche über in seiner Heimat, den Niederlanden, lebt und arbeitet, gern - und zu Recht - als Museum der Superlative bezeichnet. Was seinem Sammlerehrgeiz geschuldet ist. Denn museale Bedeutung habe eine Sammlung für ihn erst, wenn sie aus ein paar Hundert Stück bestehe. Besser noch ein paar Tausend.

Beispiel gefällig? Van de Merwe hat die größte Fingerhut-Sammlung der Welt. Zumindest wirbt er damit. Aber anzunehmen ist es. 75.000 Fingerhüte nennt er sein Eigen. Fünfundsiebzigtausend! Zum Vergleich: Das weltweit einzige Fingerhutmuseum bei Creglingen in Baden-Württemberg wartet mit nicht mal 5.000 Exemplaren auf. Und selbst den offiziellen Guinness-Rekordhalter, den Kanadier Robert J. Harper, steckt der Wahl-Biendorfer in die Tasche. Der hat nämlich „nur“ ein paar mehr als 8.000. Warum er ihm den Weltrekord nicht streitig macht? Van de Merwe winkt ab. Um den anzumelden, würden seine Inventarlisten nicht reichen. Er müsste jeden einzelnen Fingerhut beschreiben. Und die Zeit habe er nicht, ist das Umräumen doch schon immer aufwendig genug. Die Fingerhüte bewahrt er in deckenhohen Vitrinen auf. Dicht an dicht stehen sie da hinter Glas. Nach Themen und Ländern sortiert. Kommen neue dazu, gilt es Zehntausende umzuräumen.

Silberne Fingerhüte, mit Edelsteinen besetzte und marmorne, Fingerhüte aus Glas, aus Holz, aus Leder, aus Kunststoff. Einfarbige und bunte. Fingerhüte mit Applikationen, etwa einem Stück Berliner Mauer. Mit Königsbildern. Mit Familienporträts und Persönlichkeiten, denen der Sammler schon die Hand geschüttelt hat, darunter der ehemalige US-Präsident Bill Clinton und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu. Sonderanfertigungen. Wie die Exemplare mit den Konterfeis vom Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts, vom Biendorfer Orts- und Bernburger Oberbürgermeister. Und auch die Kanzlerin ist vertreten, würde ihren Fingerhut sogar bekommen, wenn sie denn mal vorbeikäme, meint van de Merwe, verschmitzt lächelnd. Kaum ein Land auf der Welt gibt es, aus dem er keinen Fingerhut hat. Die ältesten sind Ausgrabungsstücke, stammen aus dem 15. Jahrhundert, als die massenweise Herstellung begann. „Manchmal sind die Unterschiede nur minimal“, sagt van de Merwe, behauptet aber, den Überblick noch nicht verloren zu haben. „Ich erkenne genau, welche ich habe.“ Die Fingerhutsammlung ist nun mal sein Heiligtum. Selbst für seine Frau Gonnie gilt hier: Berühren verboten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite mehr über van de Merwe, seine außergewöhnliche Sammlerleidenschaft und darüber, wo er seine Sammlerstücke lagert.

Aber die Führungen im Museum, die leitet die 61-Jährige. „Die Besucher kommen aus ganz Deutschland und anderen Ländern, manchmal auch mit Bussen“, erzählt sie. Das ist insofern beachtlich, als das Museum keine Öffnungszeiten im herkömmlichen Sinne hat. Wer die Sammlung der Superlative anschauen will, muss einen Termin vereinbaren. Was sich schon deshalb lohnt, weil es „so etwas nirgendwo sonst auf der ganzen Welt gibt“, ist sich Erik van de Merwe sicher. Der jetzt gezielt internationales Publikum locken will, vor allem in der Hauptstadt soll die Werbetrommel gerührt werden. „Chinesen und Japaner, die Berlin besuchen, können locker einen Abstecher machen.“ Auf die Gefahr hin, dass es ihnen die Sprache verschlägt.

Seiner Sammelleidenschaft frönt van de Merwe schon lange. Alles fing mit ein paar Ansteckern im Kindesalter an. Heute hat er um die 100.000. Ein Großteil hängt im Museum, fein säuberlich an Pinnwände geheftet. In wochenlanger Kleinstarbeit. Auf Flohmärkten treibt er sich gern rum, um Neues zu erstehen, mit einem Trolley, den er hinter sich herzieht und der im Auto meist ein paar mal geleert werden muss, um weiter einkaufen zu können. Auf Jagd geht van de Merwe aber auch im Netz. Erst unlängst hat er dort wieder ein paar Wanderstöcke ergattert - 1.200. Zu denen, die er schon hat.

Neben 1.000 Räuchermännchen, ein paar Hundert Nussknackern, Unmengen Taschenuhren und Kameras, Kuhglocken, Flaschenkorken und Anspitzern, Taschenmessern und Parfümflaschen, Schallplatten und Blechplattenspielern. Nicht alles davon ist im Nachgang erstanden oder ersteigert. „Hier“, sagt er und deutet auf ein sichtbar in die Jahre gekommenes Gerät von Philips, „mein erster Fernseher - Kassettenspieler und Radio in einem“. Ein paar Regale weiter: „Mit dem hier habe ich selbst gespielt.“ Es geht um einen kleinen Lastwagen aus dem Hause Dinky Toys. Und die fast hundert Jahre alte Waschmaschine - eine Miele Avenir - „haben wir in Frankreich als Hausbar genutzt“. Dort - und auch in den Niederlanden - lagerten viele der Dinge, die jetzt ausgestellt sind, in unzähligen Kartons. Im Keller und auf dem Dachboden.

„Als wir hergekommen sind, wussten wir nicht, wo wir anfangen sollen“, gibt van de Merwe unumwunden zu. Nun, inzwischen ist zwar mehr als nur ein Anfang gemacht, ein Ende aber nicht in Sicht. Vieles schlummert (noch) in Schubladen und Schränken, manches auch nach wie vor in Kisten. Da sind Brillengläser - viele, einfach nur viele -, Zinnsoldaten, 5.000 Streichholzschachteln, 10.000 Zuckerbeutel und 60.000 Ansichtskarten. Nicht zu vergessen die 20.000 Schnapsflaschen. Nach 10.000 waren die Vitrinen voll. Aber van de Merwe schmiedet schon Baupläne für neue Regale. Und Samt braucht er. Denn so banal es klingt: Die 1.000 Kaffeelöffel, die er noch unterzubringen gedenkt, könne er nicht anbringen, weil ihm der Stoff ausgegangen sei, auf dem er die 5.000 bereits ausgestellten präsentiere. Aber solange es nur das und kein generelles Platzproblem ist, „muss ich mich nicht bremsen“, sagt er.

Was Freunde dazu sagen? „Dass ich verrückt bin.“ Van de Merwe sieht das aber ganz pragmatisch: „Man muss ja ein Hobby haben.“ Und wenn man WC-Zieher sammelt. Zwar „kommt man an die Griffe nicht so einfach ran“, 500 - weltgrößte Sammlung, was sonst - hat er trotzdem. Aus Porzellan, aus Bernstein und Marmor, reich verzierte und ganz schlichte aus Holz, wie das Modell, mit dem einst auch Königin Juliana der Niederlande ihre Toilettenspülung betätigt haben soll. (mz)

Auch Teil der Ausstellung: Das Symphonion ist eine Art Spieluhr.
Auch Teil der Ausstellung: Das Symphonion ist eine Art Spieluhr.
Andreas Stedtler Lizenz
WC-Zieher, Pfeifen, Kaffeelöffel... Es gibt kaum etwas, das Erik van de Merwe nicht sammelt. Und wenn er sammelt, dann macht er das gleich hundertfach, tausendfach. Je mehr, desto besser.
WC-Zieher, Pfeifen, Kaffeelöffel... Es gibt kaum etwas, das Erik van de Merwe nicht sammelt. Und wenn er sammelt, dann macht er das gleich hundertfach, tausendfach. Je mehr, desto besser.
Andreas Stedtler Lizenz
WC-Zieher, Pfeifen, Kaffeelöffel... Es gibt kaum etwas, das Erik van de Merwe nicht sammelt.
WC-Zieher, Pfeifen, Kaffeelöffel... Es gibt kaum etwas, das Erik van de Merwe nicht sammelt.
Andreas Stedtler Lizenz
Und wenn er sammelt, dann macht er das gleich hundertfach, tausendfach. Je mehr, desto besser.
Und wenn er sammelt, dann macht er das gleich hundertfach, tausendfach. Je mehr, desto besser.
Andreas Stedtler Lizenz