Heimatgeschichte „Er war bis zum letzten Atemzug rastlos tätig“
Der Plötzkauer Johann Theoder Eller festigte mit der Pockenimpfung in Bernburg seinen Ruf als Medizin-Pionier.

Bernburg - Unter Pocken versteht man eine hochgradig ansteckende Virusinfektion, die früher neben der Pest in Europa zu den gefährlichsten Seuchen gehörte. Dabei bildete sich parallel zum Fieber ein Pockenausschlag mit Knötchen und Bläschen, die unter glücklichen Umständen abheilten und Narben hinterließen. In schweren Fällen kam es zusätzlich zur Erblindung, Gehörlosigkeit, zu Hirnschäden sowie Lähmungen bis hin zur Todesfolge.
Es gab über Jahrhunderte dagegen keine Medizin. Man musste die Ansteckung vermeiden. Im Mittelalter wurden Pockenkranke deshalb isoliert und aus den Orten ausgewiesen. Erst im 18. und 19. Jahrhundert wurden Impfmaßnahmen entwickelt, die mit wachsender Verbesserung zu einer immer größeren Schutzwirkung führten.
In Deutschland begann nach seiner Heimkehr aus dem Ausland nach Bernburg im Spätsommer 1721 Johann Theodor Eller, einer der bedeutendsten Mediziner des 18. Jahrhunderts, angesichts auftretender Pockenfälle in Anhalt-Bernburg mit ersten Impfmaßnahmen. Mit Erfolg. Eller festigte damit seinen ohnehin glänzenden Ruf als Mediziner in der Fachwelt, wurde vom Fürsten von Anhalt-Bernburg sofort zum Leibarzt und Landesphysikus erhoben und drei Jahre später nach Berlin abgeworben.
Ein spätes Denkmal gesetzt
In der Residenz der Hohenzollern machte der herausragende Arzt und Chemiker aus Anhalt-Bernburg Karriere. Er wurde Leibarzt der Preußenkönige, Geheimer Rat, Direktor des Medizinal- Collegiums und Leiter seiner Fachklasse bei der Akademie der Wissenschaften. Eller sorgte für viele Neuerungen, glänzte mit seinen Heilungen bis hin zu pionierhaften Impfmaßnahmen und galt weit über Brandenburg- Preußen hinaus als fachliche Autorität.
Im Rahmen der Reihe „Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften“ veröffentlichte Jörg Heinrich 2003 in Husum die Schrift „Johann Theodor Eller: Ein bedeutender Arzt, Wissenschaftler und Medizinalbeamter in Brandenburg-Preußen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts“. Damit wird dem herausragenden Medizin- Pionier und Reformer der frühen Aufklärung aus Anhalt ein spätes Denkmal gesetzt, das seine bedeutenden Leistungen würdigt.
Umfassende Bildung am Quedlinburger Gymnasium
Johann Theodor Eller wurde am 29. November 1689 in Plötzkau geboren. Seine Eltern betrieben im geschichtsträchtigen Ort, der im 18. Jahrhundert zeitweilig als Residenz eines Zweiges des askanischen Fürstenhauses diente, eine Schankwirtschaft.
Sie ermöglichten dem Jungen eine umfassende Bildung, die nach dem heimischen Schulbesuch in Quedlinburg vervollkommnet wurde. Am Quedlinburger Gymnasium entwickelte sich seine besondere Neigung für die Rechts- und Naturwissenschaften.
Dann musste sich der junge Mann entscheiden: Jura oder Naturwissenschaften. Von Quedlinburg wechselte Eller nach Jena, wo er zuerst hauptsächlich Jura studierte. Doch auf Dauer war ihm die Jurisprudenz wohl zu trocken, zumal in Jena herausragende Naturwissenschaftler lehrten, die eine Schwerpunkt-Verlagerung erleichterten. Deshalb konzentrierte sich Eller bald auf die Chemie sowie Medizin.

Er studierte insgesamt zwölf Jahre, weilte nach Jena an den Universitäten von Halle, Leyden, Amsterdam, Paris sowie London und wurde durch berühmte Lehrer geprägt, die ihn im Sinne der Aufklärung mit den neuesten Erkenntnissen versorgten. Zu den Berühmtheiten gehörten auch Louis Lémery und Wilhelm Homberg. Lémery aus Paris zählte zu den bedeutendsten Medizinern und Chemikern seiner Zeit Er ging als Leibarzt des Königs, Akademiemitglied und erfolgreicher Forscher in die Geschichte ein. Homberg wiederum war ursprünglich ein Landsmann Ellers, wirkte als herausragender und gefragter Naturforscher nacheinander in Deutschland, Skandinavien, Italien und dann in Paris, wo ihn der berühmte Minister Colbert auf Dauer an den französischen Hof band.
Guter Ruf breitete sich wie ein Lauffeuer aus
1721 bewog Eller das Heimweh zur Rückkehr nach Anhalt, wo er mit seinen neuartigen Behandlungsmethoden für Aufsehen sorgte und mit der Pockenbekämpfung seinen Ruf als Medizin-Pionier festigte. Dieser Ruf breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Gute Mediziner waren damals selten und wurden von den Fürsten umworben. Der von Krankheiten geplagte Preußenkönig Friedrich Wilhelm I., der in die Geschichtsbücher als Soldatenkönig einging, warb die anhalt-bernburgische Koryphäe mit einem lukrativen Angebot von Bernburg nach Berlin ab. Da hatten der Bernburger Fürst und sein Land das Nachsehen.
Eller fand in Georg Ernst Stahl einen ebenso fortschrittlichen Fachkollegen und verfasste mit dem Partner das erste brandenburg-preußische Medizinaledikt, das 1725 Gesetzeskraft erlangte und für das gesamte Medizinalwesen im Königreich verbindlich wurde. Er bildete dann mit Stahl ein progressives Mediziner-Doppel. Die beiden Medizin-Pioniere gaben mit ihrem Wirken und dem Medizinaledikt der Weiterentwicklung der Medizin im Land einen gewaltigen Schub.
Die damit verbundenen Neuerungen reichten von der Ausbildung der Mediziner, die nun einen anatomisch-chirurgischen Grundkurs absolvieren mussten, über eine Staatsprüfung für Mediziner vor der Praxis-Erlaubnis bis zur Einführung neuer Strukturen sowie Hospitäler. Eller gedieh bei dieser Entwicklung zur Schlüsselgestalt und bekam immer neue Ämter aufgebürdet.
Mitglied an zahlreichen Akademien
Er fungierte als Regimentsfeldscher sowie Generalfeldstabsmedikus, bildete als Professor den Mediziner-Nachwuchs am neuen „Collegium medico-chirurgicum“ aus, übernahm zusammen mit Gabriel Senff die Leitung des neuen Vorbild-Krankenhauses „Charité“ in Berlin und verfasste fachwissenschaftliche Abhandlungen. Zwischendurch machte der Aufsteiger auch noch eine gute Partie. Eller, der von Friedrich II. als unverzichtbar vom ungeliebten Vater übernommen worden war, heiratete 1753 Henriette Catherina Reese. Deren Vater war der Präsident der Oberkriegs- und Domänenkammer. Die Schwiegermutter war eine Tochter des preußischen Staatsministers Johann Heinrich von Fuchs.
Eller wurde in zahlreiche Akademien als Mitglied berufen und gehörte auch der berühmten Leopoldina an. Für ihn galt letztlich der Satz: „Er war bis zum letzten Atemzug rastlos tätig.“ Der Aufsteiger aus Anhalt-Bernburg starb mitten in seiner Arbeit am 13. September 1760 in Berlin, fünf Jahre vor Fürst Victor Friedrich von Anhalt-Bernburg. Seine letzte Ruhe fand Eller auf dem Kirchhof der Dorotheenstädtischen Kirche, der 1965 eingeebnet wurde. Damit ging auch das Grabmal verloren.
Inzwischen sind die Pocken lange unter Kontrolle. Nachdem Bayern 1807 weltweit als erstes Land eine Impfpflicht eingeführt hatte, galt die Impfpflicht ab 1874 im ganzen geeinten Deutschland. 1972 gab es den letzten Pockenfall in Deutschland. Die Schutzimpfung hatte sich als alleiniges Heilmittel bewährt. Wohl auch ein Beispiel für die Bekämpfung der aktuellen Pandemie. (mz)