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Droge Crystal Meth Droge Crystal Meth: Suchtmedizinerin beklagt deutlich mehr Abhängige

07.05.2013, 13:50
Gabriele Jungbluth-Strube behandelt in ihrer Bernburger Praxis immer mehr Crystal-Abhängige.
Gabriele Jungbluth-Strube behandelt in ihrer Bernburger Praxis immer mehr Crystal-Abhängige. engelbert pülicher Lizenz

bernburg/MZ - Spüren Sie die aus Tschechien herüberschwappende Crystal-Welle auch in Ihrer Praxis?

Gabriele Jungbluth-Strube: Von den 900 Patienten, die ich im Quartal behandele, haben etwa 300 Suchtprobleme jeglicher Art. 15 bis 20 sind von Crystal abhängig. Vor zwei, drei Jahren kam mal der eine oder andere mit Crystal-Sucht in die Praxis, in den vergangenen Monaten haben die Fallzahlen deutlich zugenommen.

Wer ist denn besonders gefährdet?

Jungbluth-Strube: Grundsätzlich muss man hier zwischen drei Gruppen unterscheiden. Da sind die Discogänger, die Crystal konsumieren, um länger durchzuhalten. Zweitens sind es Menschen, die beruflich unter hohem Leistungsdruck stehen. Sie nehmen inzwischen Crystal statt Kokain. Es kostet schätzungsweise nur ein Fünftel und ist genauso effektiv. Drittens sind da die rund 120 Substitutionspatienten, die es in Bernburg gibt. Sie werden entweder in der Ermächtigungsambulanz des Salus-Fachklinikums oder bei mir ambulant von ihrer Heroinsucht mit Hilfe von Arzneimitteln entwöhnt. Geraten sie in Lebenskrisen, nehmen sie heutzutage Amphetamine wie Crystal. Von denen kifft oder kokst kaum noch einer.

Also ist Crystal sozusagen eine „Modedroge“?

Jungbluth-Strube: Nicht unbedingt. Crystal ist keine neue Entwicklung. Angeblich soll sich schon Adolf Hitler regelmäßig Ephydrin, den Hauptwirkstoff von Crystal, gespritzt haben. Auch im Vietnamkrieg kamen Amphetamine zum Einsatz, um die US-Soldaten aufzuputschen. Wohlgemerkt genau dosiert. Wer heute Crystal nimmt, kann sich nicht sicher sein, was für ein Zeug tatsächlich drin steckt.

Was macht Crystal neben den unbekannten Inhaltsstoffen noch gefährlich?

Jungbluth-Strube: Es tritt ein rasanter Alterungsprozess ein, Zähne und Hirngewebe werden zerstört. Starke Organschäden, Depressivität oder Psychosen sind weitere Folgen des Konsums. Wer Crystal spritzt, muss mit Gefäßentzündungen und offenen Stellen am ganzen Körper rechnen. Zwei meiner Patienten haben diese Symptome gehabt. Da will man sich nicht vorstellen, dass das Gleiche auch mit den inneren Organen passiert.

Wann reift bei den Süchtigen die Erkenntnis, dass da etwas schrecklich schief läuft in ihrem Leben?

Jungbluth-Strube: Das Wissen um die Schädlichkeit der Droge ist es nicht. Die Betroffenen gehen erst zum Arzt, wenn Folgeerkrankungen auftreten oder es Probleme in Familie oder Beruf gibt, etwa der Verlust des Führerscheins aufgrund des Drogenkonsums. Sie können sich beispielsweise nichts mehr merken, sind depressiv, kommen nicht mehr aus dem Bett, wenn sie frei haben. Wer Kreislaufschäden hat, geht in der Regel zum Hausarzt oder Internisten.

Damit diese Kollegen die Ursache der Symptome besser diagnostizieren können, hat jetzt die Arbeitsgemeinschaft ostdeutscher Suchtmediziner einen Aktionsplan erarbeitet, der festlegt, welche Untersuchungen notwendig sind. Beispielsweise auch einen Schwangerschaftstest bei Frauen. Es gab Fälle in Sachsen, da haben sich Mädchen Crystal gespritzt, um eine Modelfigur zu erreichen, dabei aber eine Schwangerschaft übersehen. Dieses Infoblatt wird Hausärzten mit gemeinsamen Patienten zugeschickt, um sie für diese Suchtkrankheit zu sensibilisieren.

Wie läuft eine Therapie bei Ihnen ab?

Jungbluth-Strube: Diese ist sehr komplex. Sie beginnt mit der Frage nach der Motivation des Patienten, sich helfen zu lassen. Ich erkläre die Diagnostik, bestelle ihn dann engmaschig in die Praxis, kontaktiere den Hausarzt, damit dieser bestimmte Untersuchungen wie ein EKG vornimmt. Und ich muss entscheiden, ob der Süchtige seine Probleme allein in den Griff bekommt oder es besser ist, ihm einen Betreuer zur Seite stellen zu lassen. Bei Akutfällen kommt auch die Einweisung in eine Klinik in Frage.

Lassen sich Crystal-Abhängige wieder heilen?

Jungbluth-Strube: Durch konsequente Abstinenz von der Droge und Gehirnjogging lassen sich Gedächtnisausfälle reduzieren. Doch klar ist, dass die Gehirnleistung nie wieder den Stand wie vor dem Drogenkonsum erreichen wird. Eine Abhängigkeitserkrankung ist chronisch – ein Leben lang. Das gilt nicht nur für Crystal. Der Suchtfaktor ist hier nicht höher oder niedriger als bei anderen Rauschgiften. Es gibt zwar noch keine verlässlichen Zahlen, aber ich schätze, dass nach dem ersten Entzug rund 90 Prozent der Patienten wieder rückfällig werden. Auch nach erfolgreicher körperlicher Entgiftung herrscht – vor allem in Lebenskrisen – weiter „Stoffdruck“. Das ist ein jahrelanger Prozess, der einer fachlichen Begleitung bedarf. Ich habe Patienten, die seit 1995 clean sind, ab und zu aber mal rückfällig werden und medikamentös behandelt werden.

Wenn man täglich so viel Leid begegnet, macht da der Job denn überhaupt noch Spaß?

Jungbluth-Strube: Ja, denn es ist schön, die Erfolge der Therapien zu sehen. Leider hat die Arbeit von Suchtmedizinern bei Krankenkassen und auch ärztlichen Kollegen keine hohe Akzeptanz. Aufgrund der Stigmatisierung der Patientengruppe und auch von uns selbst als „Schmuddel-Praxen“ gibt es so wenige Fachärzte, die auch praktizieren. Leider ist auch das Hilfssystem in Deutschland desaströs.

Wie darf man das verstehen?

Jungbluth-Strube: Für ambulante Entzugstherapien stellen die Krankenkassen kaum Geld zur Verfügung, obwohl ein stationärer Aufenthalt ein Vielfaches kostet. Das ist für mich ein Missbrauch von Versichertengeldern. In der Bundesrepublik fehlt es auch an einer ordentlichen Ernährungsaufklärung für Ex-Süchtige. So enthalten einige Hustenmittel Codein. Ein ehemals Heroin-Abhängiger darf diese keinesfalls nehmen.

Noch viel perverser ist die Gesetzgebung zugunsten der Industrielobby in Sachen Alkohol. Viele Kindersüßigkeiten enthalten Alkohol, der aber bis zu einem Prozentsatz von 1,9 nicht auf der Verpackung deklariert werden muss. So werden schon Kinder für eine spätere Alkoholsucht programmiert. Und auch manche Zahnpasten enthalten Alkohol. Putzt sich ein Ex-Abhängiger damit die Zähne, hat er keine Chance, seine Sucht zu überwinden.