Der Geschichte auf der Spur Der Geschichte auf der Spur: In Bernburg wurden einst Flugzeuge gebaut
Strenzfeld - August 2011: Es klingelt das Telefon bei Reiner Göbel. Am anderen Ende der Leitung: der Kampfmittelbeseitigungsdienst. Auf dem Gelände der Hochschule Anhalt in Strenzfeld wird ein Flugzeugteil geborgen. „Es regnete an diesem Tag und ich stand bis zu den Knien im Schlamm“, erinnert sich Rainer Göbel.
Die Mühe hat sich gelohnt. Bei dem historischen Fund handelt es sich um die Einspritzpumpe einer JU-88: Jenen Flugzeug-Bomber, der zwischen 1939 und 1945 im Bernburger Junkerswerk in der Endmontage-Zweigstelle der Luftfahrtproduktion gefertigt wurde. Klar gekennzeichnet ist der Maschinenüberrest jedoch nicht. Vom Typ her erkennt Reiner Göbel den Überrest. Bei kleineren Überresten nutzt er ein Code-Buch, um die Zuordnung zum Junkers-werk herzustellen.
„Im Krieg wurden Codes verwendet, damit der Feind anhand der Werksbestimmung nicht diese Standorte der Rüstungsindustrie bombardiert“, erklärt Reiner Göbel. Der Luftfahrt-Ingenieur arbeitet seit Anfang der 1990er im Arbeitskreis „Junkerswerke und Fliegerhorst Bernburg“, welcher auf dem ehemaligen Gelände der einstigen Bomber-Produktion in Strenzfeld - der heutigen Hochschule Anhalt - eine Ausstellung initiiert hat und bis heute betreut.
Der Flugzeugentwickler und Firmengründer Hugo Junkers wurde international mit dem Bau eines Ganzmetallmodells, der F13, im Jahr 1919 bekannt. Dass später mit seinem Namen Massenbomber für die Kriegsindustrie der Nazis gebaut wurden, hat er nicht mehr erlebt. Denn 1935 starb Hugo Junkers im Alter von 76 Jahren. Eine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten lehnte der Ingenieur zu Lebzeiten ab. Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 musste der Flugzeugbauer und Unternehmer einen großen Anteil seines Unternehmens an das Deutsche Reich abgeben - er wurde zwangsenteignet.
Der Name blieb und so avancierte die Firma zum Rüstungsunternehmen im Zweiten Weltkrieg. Eines der meistproduzierten Modelle war die JU-88, ein zweimotoriges Kampfflugzeug. Insgesamt wurden von diesem Bomber 14 882 Maschinen gefertigt, in Bernburg sind davon allein 6766 Stück zusammengebaut worden. Die Rüstungsindustrie boomte damals wie heute. Während laut Bundeswirtschaftsministerium 2014 insgesamt Exporte im Wert von 6,5 Milliarden Euro genehmigt wurden, waren es 2015 allein im ersten Halbjahr 6,3 Milliarden Euro, also nahezu doppelt so viele.
Seit 1993 treffen sich die Mitglieder regelmäßig, um sich auszutauschen und die ständige Ausstellung zu betreuen. In den Räumen können sich Besucher anhand von Archivaufnahmen, Maschinenfunden, Nachbildungen und Biografien über die Standort- und Luftfahrtgeschichte in Strenzfeld informieren. Zahlreiche Dokumente der Zeitgeschichte von ehemaligen Überlebenden, von Ausgrabungen und von Recherchen aus Büchern geben so einen detaillierten Einblick in die regionale Geschichte.
Die Ausstellung kann jeden Dienstag sowie jeden ersten Sonnabend im Monat von 10 bis 16 Uhr besucht werden (Strenzfelder Allee 28, Haus 3, Kellergeschoss). Der Eintritt ist kostenlos. Um eine Spende wird gebeten. Weitere Informationen unter Tel.: 0 34 71/35 50.
Vor dem Krieg existierte in Strenzfeld bereits ein Flugplatz, der 1939 zur Zweigstelle der Junkerswerke ausgebaut wurde. „Insgesamt arbeiteten hier 5000 Menschen, zum Teil waren das regionale und angeworbene Arbeiter, aber auch Zwangsarbeiter“, weiß Dieter Demmer. Er ist ebenfalls ehrenamtlich für den Arbeitskreis tätig. Gleichzeitig verbindet ihn ein anderes Ereignis mit der Geschichte des Standorts: „Meine Mutter arbeitete im Konsum in der Nähe der damaligen Militärwache“, erzählt der 53-Jährige. „Als ich klein war, haben wir oft in den Trümmern der Flugzeuge gespielt“, erinnert er sich.
Zwar wurden die meisten Hallen nach 1945 abgerissen, allerdings räumten die Sowjets das Gebiet erst später komplett. Heute noch sind Trümmerteile in der Region verstreut, erzählt Dietmar Kuropka vom Arbeitskreis. Der 63-Jährige war selbst bei Ausgrabungen tätig. Auf einem Feld in Bornstedt entdeckte er im Jahr 2000 nicht nur Teile eines Flugzeugs. „Wir haben die Gebeine eines Piloten geborgen“. Es stellte sich heraus, dass der Tote Paul Draeger hieß und am 2. November 1944 in Bornstedt verunglückte.