Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Serumwerk Bernburg darf HES-Lösung nicht in der EU verkaufen

Bernburg - Der griechische König Pyrrhus hatte rund 280 Jahre vor Christus mehrere Schlachten gegen die Römer gewonnen, musste diese Siege aber mit hohen Verlusten seines Heeres bezahlen und letztendlich den Gegner um Frieden bitten. Auch wenn ein Vergleich der derzeitigen Auseinandersetzung zwischen dem Serumwerk Bernburg und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit einem Krieg zu martialisch wäre, so lässt sich doch konstatieren, dass das Unternehmen aus der Saalestadt jüngst solch einen wertlosen Pyrrhussieg errungen hat - vor dem Verwaltungsgericht Köln. Dieses hatte nämlich Anfang Dezember festgestellt, dass das vom BfArM Ende September angeordnete Ruhen der Zulassung für den Blutplasmaexpander Hydroxyethylstärke rechtswidrig ist.
Nicht vertretbar
Das Serumwerk hätte also seine HES-Infusionslösung weiter innerhalb der EU vermarkten können. „Wir waren nach dem Urteil in Hochstimmung“, sagt Vorstandsmitglied Jan Lukowczyk. Doch die Ernüchterung folgte auf dem Fuße. Nur wenige Tage später verkündete das BfArM ungeachtet des Kölner Urteils, dass das Ruhen der Zulassung sofort zu vollziehen ist. In der Begründung beruft sich die Behörde auf einen Beschluss der Europäischen Kommission vom Dezember 2013, dass es für die weitere Zulassung von HES der Durchführung weiterer Studien durch die Produzenten bedarf. Und dass es nicht vertretbar ist, durch das Einlegen von Rechtsmitteln eine Durchsetzung dieser Anordnung gegebenenfalls auf Jahre hemmen zu können.
Das Serumwerk ist auch gegen diesen Bescheid in Widerspruch gegangen. „Warum sollte HES unsicher sein, nur weil wir kein Studienprotokoll anfertigen?“, argumentiert Lukowczyk. Die beiden Konkurrenten Fresenius und Braun würden schließlich weiterhin die gleichen Infusionslösungen verkaufen. Und müssen auch diesbezüglich keine Sanktionen seitens des BfArM befürchten, da sie sich jeweils zu eigenen Studien verpflichtet haben.
Der Blutplasmaersatzstoff Hydroxyethylstärke (HES) wird bereits seit den 1970er Jahren durch Fresenius hergestellt, bis heute unangefochtener Weltmarktführer. Neben der Firma Braun ist das Serumwerk Bernburg seit 1996 weltweit der dritte und mit Abstand kleinste Produzent dieses für die Notfallmedizin bedeutsamen Präparates. Nach großen Blutverlusten, beispielsweise in Folge eines Unfalls, dienen die mit HES versetzten Infusionslösungen dazu, den Druck in der Blutbahn zu erhalten und Flüssigkeitsmangel vorübergehend auszugleichen.
Neben dem Eisendextran für die Veterinärmedizin war HES der Hauptumsatztreiber des Serumwerkes. Erst im Jahr 2008 konnten die Produktionskapazitäten mit der Inbetriebnahme einer neuen Syntheseanlage deutlich erhöht werden. Von dem Präparat verkaufte das Unternehmen zeitweise 150 Tonnen jährlich in alle Welt.
Bis zwei klinische Studien aus Australien und Skandinavien das Ergebnis brachten, dass die HES-Anwendung gegenüber klassischen Kochsalzlösungen keine wesentlichen Überlebensvorteile bietet und zudem mit einem größeren Risiko für Nierenschäden verbunden ist. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wertete die Resultate als Signal für ein potenziell ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis und löste ein Risikobewertungsverfahren durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) aus.
Diese empfahl schließlich im Herbst 2013 eine Indikationseinschränkung: Bei Blutvergiftung, Verbrennungsschock oder kritisch kranken Patienten ist fortan auf den HES-Einsatz zu verzichten. Für die Therapie von Menschen mit akutem Blutverlust infolge von Unfällen oder Operationen darf das Präparat weiter verwendet werden. Allerdings wurden die Produzenten zu Studien verpflichtet, die eine eindeutigere Einschätzung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses erlauben.
Ursprünglich waren alle drei Produzenten bereit, im Rahmen eines von der Europäischen Arzneimittelagentur empfohlenen Konsortiums eine gemeinsame Untersuchung vorzunehmen. Für eine derartige Studie sind Kosten im zweistelligen Millionenbereich zu veranschlagen, schätzt Lukowczyk. Doch nach anderthalb Jahren der Vorbereitung sei einer der beiden großen Mitbewerber aus dem Gemeinschaftsprojekt ausgestiegen. Braun und Fresenius kochen nun ihr eigenen Süppchen. „Wir haben uns entschieden, keine eigene Studie durchzuführen“, sagt der Serumwerk-Vorstand, ohne sich aufgrund des schwebenden Verfahrens detaillierter zu den Gründen äußern zu wollen. Ein Aspekt, so viel verrät er dann doch, sei die Ethik. „Warum sollten mehr Patienten als nötig in Parallelstudien einbezogen werden?“
Absatz spürbar eingebrochen
Auch wenn der Rechtsstreit noch nicht abschließend entschieden ist, produziere das Serumwerk seit Oktober keine HES-Infusionslösungen mehr. Unter anderem gebe es noch Lagerbestände. Wegen des mit dem Risikobewertungsverfahrens verbundenen Imageverlustes sei der Absatz in der EU bereits seit 2013 spürbar eingebrochen, so dass der jetzige Verkaufsstopp keine gravierenden Auswirkungen mehr habe. Die Firma erzielte schon im Sommer 2015 etwa 90 Prozent ihres HES-Umsatzes im Nicht-EU-Ausland. Pharmazieunternehmen in Mexiko, Indonesien und ehemaligen Sowjetrepubliken sind laut Lukowczyk die größten Abnehmer von HES-Pulver, aus dem sie dann selbst Infusionslösungen herstellen.
Das Serumwerk hat es sogar geschafft, den HES-Absatzrückgang insgesamt mehr als zu kompensieren. „Unser Umsatz und Gewinn sind im vergangenen Jahr gegenüber 2014 leicht gestiegen“, kann Lukowczyk verkünden. Um Standort und Arbeitsplätze zu sichern, setze das Unternehmen auf weiteres Wachstum. „Wir investieren rund 1,7 Millionen Euro in die Erweiterung unserer Infusionslösungsproduktion“, sagt das Vorstandsmitglied. Die neue Anlage soll voraussichtlich im Spätsommer in Betrieb gehen. „Wir haben neue Kunden gewonnen im In- und Ausland“, frohlockt Lukowczyk. Den Pyrrhussieg könnte das Serumwerk also leicht verschmerzen. (mz)