MZ-Serie „Stolpersteine“ (Teil 15) Bernburger Möbelhändler wartet in London vergeblich auf Frau und Kind
Max Buchhalter betrieb an der Steinstraße eine Möbelhandlung. Warum er nach seiner Flucht nach England seine kleine Familie nicht mehr wiedersieht.

Bernburg/MZ. - Im Teil 12 dieser Serie sind Lebenswege der Familie Katzenstein vorgestellt worden. Heute geht es um die Familie Buchhalter. Wiederum handelt es sich um einen „seltsamen“ Namen einer jüdischen Familie. Wenig bekannt ist, wie es zu diesen Namen kam. Hintergrund waren die erste Teilung Polens unter Russland, Preußen und Österreich 1772 sowie die Bürokratie. Österreichischen Steuereintreibern waren die traditionellen jüdischen Namen ein Dorn im Auge. Und so zwangen sie jüdische Familien, zusätzlich deutsch klingende Familiennamen anzunehmen, zuweilen teilten sie ihnen sogar selbst erfundene zu. Sie waren so etwas wie die heutige Steuer-ID – und letztlich setzten sich diese manchmal skurrilen Namen auch in den jüdischen Familien selbst durch.
Junges Paar kommt 1904 nach Magdeburg
Nicht ganz so verhielt es sich bei den Eltern von Max Buchhalter. Der Vater hieß Nuchim Jossel Putzer, die Mutter Rifka Rabiner. Sie stammten aus Kalusz am Fuße der Karpaten und ließen sich vor 1910 in Magdeburg nieder. Das junge Paar kam mit ihrem 1904 geborenen Sohn Max in die Elbestadt. Nuchim Jossel (er nannte sich später Josef) arbeitete zunächst als Kutscher, später als Rohproduktenhändler. Zwischen 1910 und 1922 wurden vier Töchter geboren.
Name selbst gewählt
In der Zwischenzeit nahm die Familie für sich selbst den Namen Buchhalter an, was erst 1931 amtsgerichtlich bestätigt wurde. Sohn Max wurde Kaufmann und zog 1926 nach Bernburg, zunächst in die Martinstraße 3 und bald darauf in die Wilhelmstraße 13a. Ab 1931 wohnte er in der Steinstraße 52 zur Miete bei der Witwe Dorothee Kain, gemeinsam mit Riwka Szaynerszenyder (steht so im Adressbuch). Deren Nachname wurde später in „Schönschneider“ geändert – da war sie aber bereits mit Max Buchhalter verheiratet.

Dieser betrieb im Haus eine Möbelhandlung. Vermutlich befand sich ein Nebengelass auf dem Grundstück, denn das Reihenhaus war für ein solches Geschäft denkbar ungeeignet. Dennoch wurde das kleine Geschäft in die Liste der zum 1. April 1933 zu boykottierenden jüdischen Gewerbetreibenden aufgenommen. Mit dieser reichsweiten Aktion wollte sich der NS-Staat gegen internationale Sanktionsforderungen, vor allem aus den USA, zur Wehr setzen.
Max und Riwka (oder auch Rifka) Buchhalter wurde am 9. September 1935 Tochter Sonja geboren – just ein Tag, bevor der Nürnberger NSDAP-Parteitag begann, auf dem unter anderem die berüchtigten Rassengesetze beschlossen wurden. In immer kürzeren zeitlichen Abständen folgten nun Juden diskriminierende Erlasse.

Der Erlass mit der Anweisung, dass Juden nicht in „arischem Besitz“ befindlichen Häusern Mieter sein dürften, hieß 1939 für die Familie Buchhalter, in das Haus von Bertha Groß in der Friedrichstraße 17 (siehe Teil 2 dieser Serie) umzuziehen. Max gelang noch 1939 die Flucht nach England, wo er den Nachzug seiner Frau und Tochter vorbereiten wollte. Dann begann aber der Zweite Weltkrieg und machte das Vorhaben zunichte. Rifka und Sonja wohnten laut einer Liste vom 1. November 1941 inzwischen in der Nienburger Straße 17. Aus diesem Wohnhaus der Banker- und Unternehmerfamilie Calm war ein sogenanntes „Judenhaus“ geworden (heute Nienburger Straße 20-22, SOS-Kinderdorf). Noch im Jahr 1941 zogen Mutter und Tochter offenbar nach Berlin. Von dort aus wurden sie am 26. Februar 1943 in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert und vermutlich sofort ermordet. Sonja wurde nur sieben Jahre alt.
Vater in Bernburg getötet
Dramatisch endete auch das Leben des Vaters von Max Buchhalter. Sicher wird Josef Buchhalter von Magdeburg aus seinen Sohn und dessen Familie in Bernburg häufig besucht haben. Er ahnte nicht, dass er in dieser Stadt ermordet werden würde. Ab 1939 war er „Schutzhäftling“ im KZ Buchenwald und stand Anfang 1942 auf einer Liste mit nicht arbeitsfähigen und kranken Juden. Für solche KZ-Häftlinge hatte die SS eine besonders perfide Nachnutzung der vormaligen Tötungsanstalten im Rahmen der gestoppten „Euthanasie“-Aktion ersonnen: die „Sonderbehandlung“ 14f13, benannt nach einem SS-Aktenzeichen. So wurde die Ermordung „unbrauchbarer“ KZ-Häftlinge bezeichnet. Josef Buchhalter kam am 2. März 1942 ein letztes Mal nach Bernburg.
Auch Stolpersteine in Magdeburg verlegt
Außer den drei Stolpersteinen in Bernburg erinnern in Magdeburg sieben Steine vor dem Haus Breiter Weg 111 an Buchhalters, darunter auch solche für Rifka und Sonja Buchhalter.