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Weihnachts-Westpakete Apfelsinen Strumpfhosen Backzutaten: Ilona Pompe aus Bernburg erinnert sich an Westpakete zu Weihnachten

Von Felix Filke 15.12.2018, 08:58
Nicht erschrecken, diese Maus tut keinem was. Wie der Mantel, den Ilona Pompe trägt, war auch die Maus mit den Riesenohren in einem Westpaket.
Nicht erschrecken, diese Maus tut keinem was. Wie der Mantel, den Ilona Pompe trägt, war auch die Maus mit den Riesenohren in einem Westpaket. Pülicher

Bernburg - Wenn Ilona Pompe in diesen Tagen kurz vor Weihnachten Post bekommt, denkt sie gerne zurück an die Zeit vor der Wende – täglich wuchs die Spannung, wann denn nun endlich die Pakete aus dem Westen ankommen. Das waren dann immer kleine Feiertage: „Ich hatte drei Kinder, da war ich sehr dankbar über jedes Paket“, sagt die 64-Jährige.

Schwiegermutter hatte fünf Geschwister im Westen

Und sie hatte viele Gelegenheiten, um dankbar zu sein. Ihre Schwiegermutter hatte fünf Geschwister, die allesamt in Hamburg und Umgebung lebten – und so bekam die Bernburgerin ab Mitte der 1970er Jahre bis zur Wende regelmäßig fünf Pakete aus dem Westen an Weihnachten. „Einmal kamen alle am selben Tag an und ich war nicht da. Meine Nachbarin hat die Pakete angenommen – da war ihr ganzer Flur zugestellt.“

Ausgepackt wurden die Pakete auch wirklich erst zum Fest, „das war uns fast schon heilig“, sagt Ilona Pompe. Dann kamen vor allem Kakao, Apfelsinen, Kaffee, Backzutaten und Schokolade zum Vorschein. „Und natürlich Strumpfhosen, die waren hier ja so teuer.“ Einen warmen Wintermantel von damals hat sie auch noch im Schrank hängen – tragen tut sie ihn allerdings nie.

Leere Kaffeedosen und Bierbüchsen wurden nicht weggeworfen

Selbst die Verpackungen der Westprodukte hatten für die gelernte Industriekauffrau mitunter einen ganz besonderen Stellenwert. So erinnert sie sich daran, dass leere Kaffeedosen und Bierbüchsen nicht etwa weggeworfen, sondern sauber auf dem Küchenschrank aufgereiht wurden. „Die waren so schön bunt.“ Auch die Obstkonserven wurden für besondere Anlässe aufbewahrt – in diesem Fall für die Jugendweihe ihres Sohnes. Die war dann allerdings erst 1990 und damit kurz nach der Wende: „Die Konserven wollte dann keiner mehr.“

"Wir wussten nicht, wie man Kiwis isst”

Und dann waren da ja auch noch diese seltsam pelzigen Früchte, die niemand kannte: Kiwis. „Wir standen davor und wussten nicht, was das ist und wie man das isst.“ Lange sei familiär beraten worden, was damit zu tun ist. Vielleicht kochen, so ähnlich wie Kartoffeln?

„Wir haben dann mal eine aufgeschnitten und festgestellt, dass man sie roh essen kann.“ Die geschmackliche Begeisterung hielt sich allerdings in Grenzen: „Sie war noch hart und hat nicht besonders gut geschmeckt.“

Nach der Wende hörten die Zusendungen dann schlagartig auf, worüber Ilona Pompe schon ein wenig enttäuscht war. Nun konnte man zwar alles selbst kaufen, aber trotzdem hat von da an zu Weihnachten immer irgendwas gefehlt, sagt sie. Das habe sich auch bis heute nicht geändert.

Im Februar 1990 fuhr Ilona Pompe nach Hamburg

Im Februar 1990 war sie dann erstmals selbst jenseits der kurz zuvor geöffneten deutsch-deutschen Grenze – bei einem der fleißigen Paketschicker aus Hamburg. Vor allem die großen Kaufhäuser und der Tierpark Hagenbeck haben sie damals beeindruckt. Und auch in diesem Jahr war sie wieder dort – bei einer Tante, die ihr als Einzige immer noch Weihnachtskarten schreibt. „Wir haben viel von damals erzählt.“

Maus aus 1960ern sitzt bis heute zwischen Büchern

Und dann holt Ilona Pompe noch ein weiteres Überbleibsel aus der westdeutschen Päckchenvergangenheit hervor: eine weiß-rote Maus aus Leder mit riesigen Ohren. „Die habe ich aber schon Anfang der 1960er Jahre von drüben geschickt bekommen.“ Ihre damalige Freundin war kurz vor dem Mauerbau in die Nähe von Köln gezogen und schickte ihr von dort dieses kuriose Tier.

„Weil ich eine Leseratte bin, habe ich sie aufgehoben, sie ist quasi mein Symbol“, sagt die 64-Jährige. So sitzt die Maus bis heute zwischen den Büchern der Bernburgerin. (mz)