Frauen, Legenden, Seeadler Was die Zwölftklässler des Ascherslebener Stephaneums in ihrer Studienwoche herausgefunden haben
Wer eine literarische Führung genießen durfte.

Aschersleben/MZ - Reges Stimmengewirr erfüllt die Aula des Gymnasiums Stephaneum. Zahlreiche Besucher haben hier – unter Einhaltung der Corona-Beschränkungen – auf den Sitzen Platz genommen.
Vor den Türen warten bereits aufgeregte Schüler auf ihren Auftritt, die einen schick herausgeputzt in Blazer oder Anzug, die anderen gar im Kostüm. Als Johanna Bremer den Raum betritt, sich ans Klavier setzt und „Freude schöner Götterfunken“ anstimmt, erlischt das Gemurmel.
„Ich bin gespannt, wie sie sich schlagen“
Es ist wieder einmal Zeit für die Präsentation der Ergebnisse aus der Studienwoche, in der die Schüler der zwölften Klassen traditionell jedes Jahr Ausflüge unternehmen. Die Präsentationen in diesem Jahr seien alle in lediglich einer Woche entstanden, erklärt Abiturient Anton Winkler, der die Veranstaltung moderiert. „Die Zeit war knapp“, bestätigt auch Schulleiter Klaus Winter vor der Veranstaltung. „Ich bin gespannt, wie sie sich schlagen.“
Die Antwort: sehr gut. In der Aula präsentieren die Teilnehmer der Studienfahrt nach Weimar - organisiert vom Fachbereich Deutsch - ihre Ergebnisse. Da sind beispielsweise Janne Klinkert mit einem Monolog von Schillers Karl Moor („Die Räuber“) oder Theresa Hoyer und Yasmina Lange: die eine mit Schild und Kruzifix als Schillers „Jungfrau von Orléans“, die andere im Fleischerkittel als Brechts „Heilige Johanna der Schlachthöfe“ - lautstarke Werbung für Büchsenfleisch inklusive.
„Ehret die Frauen ...“
Mit Schiller und seinem für heutige Maßstäbe konservativen Frauenbild setzt sich Anna Strehlow auseinander. In einer Parodie auf seine Ballade „Die Würde der Frauen“ heißt es bei ihr statt „Ehret die Frauen! Sie flechten und weben.“: „Ehret die Frauen! Sie sind auch Ärzte und Bänker.“
Obgleich die Studienwoche und die Erarbeitung der Präsentationen erst im September stattfanden: Die Themen beschäftigen die Schüler meist deutlich länger. Anfang der elften Klasse entscheiden sie sich für ein Fach - dieses Mal Deutsch, Englisch oder Biologie -, in dem sie ihre Facharbeit verfassen wollen, und wählen schließlich ein Thema, zu dem sie dann recherchieren. Die Studienfahrt kann als Höhepunkt der Recherchen betrachtet werden.
Weimar, Berlin, Wattenmeer
Wer seine Arbeit im Fach Deutsch verfasste, durfte mehrere Tage in der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar verbringen, an einer literarischen Führung durch die Stadt der Dichter und Denker teilnehmen und besuchte einen der dunkelsten Orte der Stadt: das Konzentrationslager Buchenwald. Nach der Präsentation stellten noch weitere Schüler ihre Arbeiten an kleinen, eigens vorbereiteten Ständen vor. So zum Beispiel Joelina Hellmuth, die sich mit Alfred Döblins „Ermordung einer Butterblume“ und der Rolle, die das Korsakow-Syndrom - eine Gedächtnisstörung - darin spielt, beschäftigt hatte.
Der Protagonist schlägt einer Butterblume den Kopf ab und hält sich fortan für einen Mörder. Entsprechend lag auf dem Tisch der Schülerin ein weißes Tuch, darauf eine „geköpfte“ Butterblume zwischen kleinen Blutspritzern. Ihr Mitschüler Anton Winkler hatte Bruno Apitz’ „Nackt unter Wölfen“ mit der dazugehörigen Verfilmung und der Originalvorlage - der Geschichte von „Buchenwaldkind“ Stefan Jerzy Zweig - verglichen. Vor ihm auf dem Tisch, in Anlehnung an die Geschichte: ein nostalgischer, Koffer, darin eine Babypuppe.
Der Trip nach England
Schüler, die im Fach Englisch schreiben, fahren traditionell nach England. Wie zuletzt bei so vielen Traditionen, musste aber auch hier coronabedingt umgedacht werden. In Kooperation mit dem Start-Up-Unternehmen „LevelUp English“ unternahmen sie eine Reise nach Berlin. Dort gab es unter anderem ein Pubquiz, einen Trommelworkshop auf der Djembé und Kurse mit Muttersprachlern. „Einige Schüler haben dann sogar ganz allein untereinander Englisch gesprochen“, berichtet Englischlehrerin Doreen Steinmetz begeistert.

Auch die Ergebnisse der Englischstudienarbeiten präsentierten die Schüler im Laufe des Nachmittags. So berichtete Lara Sophie Mammel von ihren Recherchen zur Schwulen-, Lesben- und Bisexuellen-Bewegung in Großbritannien, Rebekka Bieber von ihrem Vergleich des Films „King Arthur: Legend of the Sword“ mit der Legende von König Artus und Nadine Stracke stellte die Ergebnisse ihrer Untersuchung eines Comics zu den Anschlägen vom 11. September 2001 vor. Hanna Tilgner, bekennender „Diana-Fan“, erklärte, wie die royalen Traditionen das Leben der „Princess of Wales“ bestimmten - und wie sie mit ihnen brach.
„Muscheln sind doch nicht so langweilig wie man denkt“
Wer sich für das Fach Biologie entschieden hatte, begab sich auf einen Ausflug in den hohen Norden - nach St. Peter-Ording, das laut Biologielehrer Enrico Friedel-Treptow schon seit längerer Zeit das Ziel der Studienfahrt ist. Von dort aus galt es, das Wattenmeer in all seiner Biodiversität zu erforschen. So untersuchten Klara Thiemann, Angelina Köthe und Cora Flotow beispielsweise die Vielfalt der Vögel in der Region. Sie beobachteten Austernfischer, Rotschenkel, Lachmöwe und Co. und legten dazu ein Tagebuch und eine Federsammlung an, die Besucher sich ansehen konnten.
Auch die Ernährung der Vögel konnten Interessierte testen - naja, so in der Art: Statt echten Fröschen und Wattwürmern gab es für Naschkatzen die süße Ausgabe als Gummitiere. Über das Highlight des Ausflugs sind sich die drei einig: die Sichtung eines Seeadlers. Vor Justine Göldner - Teil der Muschelforschungsgruppe - lag eine umfangreiche Sammlung der kleinen Lebewesen, größtenteils zusammengetragen auf der Studienfahrt. Im Rahmen ihrer Untersuchungen konnte sie mit Hilfe eines Mikroskops sogar das Alter von Muscheln bestimmen, die nämlich wie Bäume über Jahresringe verfügen. Ihr Fazit: „Muscheln sind doch nicht so langweilig wie man denkt.“
Vorbereitung aufs Studium
Die Erstellung der Facharbeiten stellt für die Schüler oft einen großen Aufwand dar, lässt sie aber gleichzeitig viel lernen. „Ich wusste nicht, dass Schiller so viele Frauen hatte“, stellt Anna Strehlow mit Blick auf ihre Recherchen fest. Und sie sagt: „Ich kann meine Arbeit jetzt besser strukturieren.“ Deutschlehrerin Andrea Janzen merkt an, dass die Facharbeit die Schüler gut auf ein späteres Studium vorbereite. Die sehen es offenbar ähnlich: Wer während oder nach dem Studium nochmal in der Schule vorbeischaut, bewerte die Facharbeit im Rückblick sehr positiv, so Janzen.