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Unglück in Nachterstedt Unglück in Nachterstedt: Sand Wasser und eine Katastrophe

Von Hendrik Kranert-Rydzy 09.07.2013, 13:15
Das Spezialschiff «Sonar» auf dem Concordia-See in Nachterstedt. Der Concordia-See bleibt auch rund vier Jahre nach dem Unglück mit drei Toten gesperrt.
Das Spezialschiff «Sonar» auf dem Concordia-See in Nachterstedt. Der Concordia-See bleibt auch rund vier Jahre nach dem Unglück mit drei Toten gesperrt. dpa/archiv Lizenz

Magdeburg/MZ - „Gutachter des Bergbausanierers LMBV und des Bergamtes einig“ steht über der Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums: „Hoher Druck in tiefer liegenden Grundwasserleitern war maßgeblich für das Unglück in Nachterstedt.“ Das stimmt. Und wiederum auch nicht. Einig sind sich die Gutachter tatsächlich in der Frage, dass es unterhalb des Kohleflözes einen extremen Wasserdruck gab. Eine Anomalie, die weder bekannt war, noch mit der jemand gerechnet hatte.

Doch dass es diesen enormen Druck gab, hat vor allem damit zu tun, dass man im Tagebau die „Entwässerungsanlagen teilweise frühzeitig außer Betrieb genommen“ hatte, heißt es in der Expertise von Michael Clostermann, Gutachter des Landesbergamtes. Die LMBV hätte sie nutzen können, um Grundwasser abzupumpen, tat dies jedoch bis zum Unglück nicht. Und: Das Monitoring der Zu- und Abflüsse rund um den Tagebau sei „lückenhaft“ gewesen, so Clostermann. So blieb der zu hohe Druck unbemerkt. Erst jetzt senkt eine Pumpengalerie in Nachterstedt den Wasserdruck - und nicht nur da: Man habe auch an anderen Restlöchern mit ähnlichen Verhältnissen wie in Nachterstedt Pumpen in Betrieb genommen, sagte LMBV-Geschäftsführer Mahmud Kuyumcu. Es handele sich um eine einstellige Zahl - bei 50 Restlöchern.

Der gewaltige Druck im Seeboden führte in Nachterstedt dazu, dass nach oben steigendes Wasser eine vor der später abgerutschten Haldenböschung gelegene Stützkippe wegspülte. Und dann kam laut LMBV-Gutachter Rolf Katzenbach der Morgen des 18. Juli 2009 - und mit ihm ein „dynamisches Initial“. Sprich: ein Mini-Erdbeben. Was folgte, war eine Art Domino-Effekt, bei dem erst die Stützkippe und dann die Böschung versagte.
Doch im Gegensatz zu früheren Vermutungen der LMBV, der Einsturz eines unterirdischen Hohlraums - einer Karsthöhle oder eines Bergbaustollens - hätte das Beben ausgelöst, spricht Katzenbach jetzt von einer Verformung der Erdkruste im Millimeterbereich. Ausgelöst durch Lastunterschiede im Tagebau selber: Erst kamen 400 Millionen Tonnen Kohle und Abraum heraus, dann 70 Millionen Tonnen Wasser wieder hinein. Auf Nachfrage erklärt Katzenbach aber auch: „Ein Versagen der Kippe ist auch ohne seismisches Ereignis nicht auszuschließen.“

Der Satz ist nicht weniger als das Eingeständnis, dass letztlich die LMBV für die Katastrophe verantwortlich ist: Denn im Gutachten des Bergamtes heißt es, dass die Stützkippe durch „locker gelagerte Kippmaterialen unter Wasser“ nicht stabil war. Immer wieder hatte es im Tagebau entsprechende „Setzungsfließen“ von Sanden gegeben, was bereits in einem Gutachten von 1991 belegt wird. Man war also gewarnt. Ob dies strafrechtliche Konsequenzen hat, ist offen. Der Staatsanwaltschaft Magdeburg lag bis gestern noch kein Gutachten vor. Der Nachterstedter Bürgermeisterin Heidrun Meyer ist das letztlich egal: „Für uns ist wichtig, dass die LMBV sofort mit der Sanierung beginnt.“ Dann sei man auch bereit, weitere zwei Jahre bis zur Nutzung des Sees zu warten. Doch man sei misstrauisch, es habe schon zu viele Versprechungen gegeben.