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Ungewöhnliche Fahrräder aus Ermsleben Ungewöhnliche Fahrräder aus Ermsleben: Fahrspaß mit "Hackenwärmer"

Von Petra Korn 22.01.2016, 15:15
Heinz Klingenberg inmitten seiner Schätze.
Heinz Klingenberg inmitten seiner Schätze. Chris Wohlfeld Lizenz

Ermsleben - Fahrräder mit Hilfsmotor? Die gibt es nicht erst mit den E-Bikes. Grün, Blau, Rot oder leuchtend Gelb und schon Jahrzehnte alt sind die Fahrräder mit Zweitakt-Hilfsmotor, die Heinz Klingenberg besitzt und liebevoll sowie mit Akribie restauriert hat. Und jedes einzelne ist fahrtüchtig: „Sie sind alle Dekra-zugelassen und versichert“, sagt der Ermslebener. Neuester „Zuwachs“ in diesem besonderen Fuhrpark ist das rote Fahrrad der Marke Diamant, Baujahr 1955, das gerade fertig geworden ist. „Das wird mein Dienstfahrzeug“, sagt der 78-Jährige, der jeden Sonntag - statt mit dem Auto - mit dem Fahrrad nach Meisdorf fährt.

Danziger Herkunft

Zum „Hühnerschreck“ oder „Hackenwärmer“, wie die Fahrräder mit Hilfsmotoren auch genannt werden, kam Heinz Klingenberg als junger Mann. 1958 hatte seine Familie, die zuvor in Danzig beheimatet war, dem Vater folgen dürfen, der bereits 1949 aus der Kriegsgefangenschaft nach Ermsleben gekommen war. „Das waren schwere Jahre. Der Vater hatte nicht viel, und wir hatten gar nichts. Wir durften ja nichts mitnehmen“, erinnert sich Heinz Klingenberg an den Anfang in Ermsleben. Damals war er 21. „Man war jung und wollte ja auch ein bisschen motorisiert sein.“

Und so kaufte er sich, als eine ortsansässige Werkstatt in den 1960er Jahren auch Hilfsmotoren für Fahrräder anbot, einen solchen und baute ihn an sein Rad an. Von Technik und Basteln von Kindheit an begeistert, war das kein Problem. „Motoren waren schon immer meine Sache“, sagt der Ermslebener, der Landmaschinen- und Traktorenschlosser gelernt hatte. „Schmieden, schweißen, tischlern - man musste damals alles können. Da haben sich auch Hobbys entwickelt.“ Später kaufte sich Heinz Klingenberg ein Motorrad und noch später ein Auto; das motorisierte Fahrrad erhielt sein Vater, der es noch einige Zeit benutzte und dann verschenkte.

Vor etwa fünf Jahren kam der Ermslebener auf die Idee, sich wieder ein solches Rad anzuschaffen. „Ich wollte die Erinnerungen aus der damaligen Zeit wachrütteln und auch ein bisschen Beschäftigung haben.“ Ein guter Freund gab ihm den Rahmen eines Fahrrades aus dem Jahr 1937 der Heidemann-Werke Einbeck (HWE). Schritt für Schritt baute Heinz Klingenberg dieses wieder auf - bis hin zum aufgearbeiteten MAW-Hilfsmotor. Solche Motoren waren von 1954 bis 1959 im VEB Messgeräte- und Armaturenwerk „Karl Marx“ Magdeburg-Buckau produziert worden. Der Zweitakt-Motor wurde angebaut, das HWE-Fahrrad - heute das älteste in der kleinen Sammlung des Ermslebeners - getestet. „Es hat geklappt. Da habe ich mir gesagt, jetzt geht’s los.“

Eigene Entwicklungen

Weitere Fahrräder mit Hilfsmotoren folgten, von denen Heinz Klingenberg eines gegen ein Original-Postrad tauschte. Teile, um seine historischen Schätze wieder aufzubauen, sucht und findet der 78-Jährige auf speziellen Märkten zum Beispiel in Erfurt und Leipzig. Gestrahlt, pulverbeschichtet, verzinkt oder verchromt blitzen sie dann wie neu. Manches baut der Ermslebener aber auch selbst. So entwickelte er, weil er mit der Federung des grünen HWE-Rades nicht zufrieden war, für das blaue Mifa-Fahrrad eine eigene Federung für das Vorderrad und verbesserte diese für das rote Diamant-Rad noch einmal. Auch den Sattel des roten Rades hat er selbst aufgebaut - mit originalen, neu verzinkten Federn.

„Wenn das Wetter passt, möchte ich jeden Tag fahren. Da kann man mal die ganze Landschaft sehen, was man sonst so verpasst mit dem Auto. Das macht richtig Spaß“, sagt Heinz Klingenberg. Die zugelassene Höchstgeschwindigkeit der motorisierten Räder beträgt übrigens 25 Kilometer pro Stunde.

Eigentlich, sagt der Ermslebener, wollte er schon aufhören mit dem Wiederaufbau von „Hackenwärmern“. Aber ganz komplett ist die Fahrrad-Flotte doch noch nicht: „Ich habe noch eins, das ich aufbauen will. Das ist ein Opel. Den Rahmen habe ich schon.“ (mz)

Die meisten Motoren kamen aus dem Messgeräte und Armaturenwerk in Magdeburg.
Die meisten Motoren kamen aus dem Messgeräte und Armaturenwerk in Magdeburg.
Chris Wohlfeld Lizenz
Die gute alte Werkzeugtasche aus Leder.
Die gute alte Werkzeugtasche aus Leder.
Chris Wohlfeld Lizenz
Auch eine Erste-Hilfe-Tasche war an Bord.
Auch eine Erste-Hilfe-Tasche war an Bord.
Chris Wohlfeld Lizenz