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Traumatische Kriegerlebnisse Traumatische Kriegerlebnisse: «Es war 100 mal Hölle und kein Himmel»

Von Detlef Anders 11.07.2003, 15:33

Quedlinburg/MZ. - Der Schusterjunge aus dem Quedlinburger Klink war zur Marine gegangen. "Ich wollte einen technischen Beruf", betont Niedung, der mit 18 Jahren an die Schiffsartillerieschule nach Kiel kam. Die Wartung von Geschützen war sein Job. Auf dem Kreuzer "Leipzig" hatte Niedung am 13. Dezember 1939 vor Newcastle sein erstes einschneidendes Kriegserlebnis. Nachdem ein Torpedo sein Schiff getroffen hatte, hörte er in der Nacht Klopfgeräusche aus dem beschädigten Schiffsteil. Die Führungscrew auf der Brücke schenkte dem Neuankömmling keinen Glauben und so machte sich der 19-Jährige auf eigene Faust auf die Ursachensuche. Er band sich ein Tau um den Bauch und tauchte in das Ölwasser des Lecks. Gerade noch rechtzeitig holte er den schwer verletzten, inzwischen bewusstlosen leitenden Ingenieur, einen Kapitänleutnant, aus dem Wasser.

Im August 1940 kam der Mechaniker auf die "Tirpitz". Das Schlachtschiff wurde gerade mit Kriegstechnik ausgestattet und er sollte überwachen, ob die Baupläne eingehalten werden. "Als Artilleriemechaniker musste man alles im Kopf haben." Vor der "Tirpitz" wurde jedoch das Schwesterschiff, die "Bismarck", fertig.

Noch heute ist Helmut Niedung froh, dass er zufällig für etwas zu jung für den Einsatz auf der "Bismarck" gehalten wurde. Die "Bismarck" wurde bei ihrem ersten Einsatz am 27. Mai 1941 versenkt. Nur 115 der über 2 200 Mann überlebten. Die "Tirpitz" sollte die sowjetischen Truppen von Kriegslieferungen aus Kanada abschneiden, sagt Niedung zum Ziel des Einsatzes im Eismeer. Er zeigt viele Fotos aus der Zeit. Sogar als Moderator des Bordvarietés in der Offiziersmesse ist er zu sehen. Viele der Fotos seien einmalig, hebt er hervor. Die drei Propaganda-Offiziere, mit denen er sich angefreundet hatte, steckten ihm ab und zu Fotos zu. Die Mitternachtssonne habe ihn nicht schlafen lassen, erklärt er den Kommentar im Fotoalbum "Die Sonne schien ohne Wärme".

Das Jahr 1944 war für den jungen Quedlinburger die wohl schlimmste Zeit. "Wenn die Maschinen liefen, konnten Sie schlafen vergessen." Die Hängematten blieben im Schrank und statt dessen versuchten die Matrosen, an die schrägen Wände gelehnt Schlaf zu finden. Mit einem Schal hielten die Männer den Kopf. "Ich schaffte es nicht - die vielen Verwundeten und Toten", erinnert er sich kopfschüttelnd. Der Arzt, dem die Schlaflosigkeit auffiel, meinte mit einer Flasche Alkohol als Trost: "Was regen Sie sich auf, Niedung. Es kann doch nicht viel passieren. Sie können doch nur sterben."

Bei Angriffen der englischen Bomber wurden immer wieder Kameraden getötet oder verletzt. Das für unsinkbar erklärte Schiff hatte eine solch dicke Panzerung, dass "normale Bomben" auch nicht viel Schaden anrichten konnten. Doch Churchill habe 5,4 Tonnen schwere Superbomben bauen lassen. "Möbelwagen" - sagt Niedung dazu. Drei Angriffswellen flogen die Bomber gegen die "Tirpitz", die sich in der Kiosen-Bucht im Fjord von Tromsø versteckt hatte. Am Morgen des 12. November 1944 landete die dritte Welle drei Volltreffer. Eine Bombe habe panzerdicke Platten durchschlagen und die Munitionskammer getroffen. "Die halbe Seite flog weg". Das Schiff begann zu sinken. Niedung rutschte aus einer Geschützöffnung in das eiskalte Wasser, während viele im Schiffsinneren die Schotten nicht öffnen konnten. Nach sechs Minuten wurde er von einem der Kanonenschulboote aufgefischt. Gerade noch rechtzeitig. "Sie haben mir mit den flachen Händen auf den Bauch geschlagen und dann Alkohol darüber gegossen. Es brannte furchtbar, aber ich hatte keine Kraft mehr, um zu schreien."

"Ich bin ein Kriegsgegner", betont Helmut Niedung heute. Der Quedlinburger beendete den Krieg in britischer Kriegsgefangenschaft. Beeindruckt war Niedung von einem alten Freund, der nach dem Krieg bei der Bundesmarine bis zum Kapitänleutnant aufstieg und ihn drei Jahre lang in der DDR suchen ließ und schließlich fand.